Der Preis der Ewigkeit
als ich die Waffe auf ihren Hals niederfahren ließ. Noch während das Wort ihre Lippen verließ, materialisierte sich ein Nebelfetzen und um uns herum schien die Zeit langsamer zu vergehen. Genauso gut hätte ich durch ein Becken voll Honig schwimmen können. Je näher ich meinem Ziel kam, desto schwerer wurde es, mich zu bewegen, und einen halben Zentimeter vor ihrer Kehle kam der Dolch vollends zum Stillstand. Sosehr ich mich auch anstrengte, er regte sich kein Stück weiter.
„Netter Versuch, Kate“, höhnte Calliope und grinste. „Schade, dass du nie mehr zustande bringen wirst.“
Bevor ich auch nur den Mund öffnen konnte, traf mich ein Windstoß, der selbst den Olymp aus dem Himmel hätte reißen können. Der Dolch entglitt meinen Fingern, während ich durch die Luft flog und so hart auf dem Rücken landete, dass die Steinplatten unter mir krachend barsten. Dann grub sich der Nebel in die Wunde in meiner Brust, zu schmerzhaft, um ihn noch länger zu ignorieren. Ich stöhnte auf.
„So endet es also“, sagte Calliope und hob den Dolch auf. „Ich würde ja was Geistreiches sagen, aber du bist es einfach nicht wert.“
Ich schloss die Augen, als ein wutentbrannter Schrei die Luft zerriss und sich mit dem Tosen des Ozeans mischte, bis ich das eine nicht länger vom anderen unterscheiden konnte. Es war vorbei. Das Ende war gekommen.
Eine Sekunde verstrich. Zwei Sekunden.
Doch der Schmerz kam nicht.
Ein kollektiver Laut des Erschreckens hallte über das Dach und durch den Himmel, als hätte die gesamte Welt im selben Moment nach Luft geschnappt. Ich blinzelte. Calliope stand bei mir, doch ihre Hand war leer, die Waffe war verschwunden.
Und zwischen uns kauerte Ava. Das Heft des Dolchs ragte aus ihrer Brust, direkt über dem Herzen.
19. KAPITEL
LICHT
Hinter mir erhob sich ein Schrei über den heulenden Wind, der Nicholas’ Schmerz verriet. Die Lichtpunkte am unnatürlich schwarzen Himmel antworteten mit derselben Qual in ihren Stimmen und zu guter Letzt begriff ich es.
„Ava?“ Während sie in sich zusammensank, kroch ich an ihre Seite. Hilflos hielt ich die Hand wenige Millimeter über ihre Wunde. Sie war tief – zu tief, um nicht tödlich zu sein, es sei denn, ich bekäme den Dolch heraus, bevor der Nebel bis in ihr Herz dringen konnte. Würde ich es schaffen, ohne es noch schlimmer zu machen? Mir blieb keine Wahl. Wenn ich es nicht versuchte, würde sie mit Sicherheit sterben. Ich packte das Heft des Dolchs. „Das wird jetzt wehtun.“
Langsam zog ich die Klinge heraus und Avas Schreie übertönten selbst den Schlachtenlärm. Sobald ich die Waffe ganz herausgezogen hatte, drückte ich die Hand auf die Wunde und versuchte die Blutung mit purer Willenskraft zu stillen. Ava durfte nicht sterben. Ich würde es nicht zulassen.
„Es tut mir leid“, hauchte sie, die Augen rot gerändert. „Ich hab geglaubt … es wäre zum Besten … Ich dachte …“
„Du hast nichts falsch gemacht.“ Ihr Gesicht verschwamm vor meinen Augen, und hektisch blinzelte ich, um sie fest im Blick zu behalten. „Danke. Es tut mir so leid, dass ich je an dir gezweifelt habe.“
„Du … verzeihst mir?“, flüsterte sie.
„Natürlich.“ Sanft drückte ich ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich hab dich lieb.“
Blut tropfte ihr in einem dünnen Rinnsal aus dem Mundwinkel. „Bring es zu Ende“, wisperte sie fast unhörbar. Einen grauenhaften Moment lang dachte ich, sie wollte, dass ich sie umbrächte, doch dann schloss sie die Finger um die Hand, in der ich den Dolch hielt, und ich verstand.
Ich blickte über meine Schulter. Calliope starrte stumm und sichtlich geschockt auf Ava herab. Warum? Hatte sie nicht genau das bezweckt?
Nein, dies war ein Unfall. Sie hatte nicht auf Ava gezielt. Ich war es, auf die sie es abgesehen hatte. Wie dem auch sein mochte, ich durfte ihr keine Gelegenheit geben, sich wieder zu fangen. In einer blitzschnellen Bewegung holte ich nach ihrem Knöchel aus, und eine grimmige Befriedigung erfüllte mich, als die Klinge durch Haut und Knochen glitt.
Mit einem entsetzlichen Schrei, der mir durch Mark und Bein drang, fiel sie zu Boden. Erfüllt von einer unmenschlichen Kraft packte sie meine Hand und versuchte mir den Dolch zu entreißen. „Es ist vorbei, Kate. Lass los.“
„Glaubst du ernsthaft, das funktioniert?“, brachte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, während ich mich mit aller Macht an den Griff der Waffe klammerte. Ich wand mich unter ihr und versuchte
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