Der Preis der Ewigkeit
alles, um ihr zu entkommen, aber sie wusste, was sie tat.
Bei ihren Versuchen, mir den Dolch zu entreißen, schnitt sie sich die Handflächen in Fetzen und in Strömen rann ihr Blut über meine Arme. Doch dann gruben sich ihre Finger unter meine und einen nach dem anderen begann sie sie vom Heft der Waffe zu lösen.
„Du weißt echt nicht, wann du aufgeben solltest, oder?“, spottete sie boshaft. Nur noch ein paar Sekunden und sie hätte es geschafft. Ich schrie auf, als mir der glitschige, blutverschmierte Griff zu entgleiten begann, und Tränen der Frustration rannen mir die Wangen hinab. „Ich hole mir Henry zurück und Callum wird mir gehören. Er ist mein Sohn, nicht deiner, und du kannst nichts dagegen tun. Ich werde dafür sorgen, dass er sich jedes Mal, wenn er deinen Namen hört, daran erinnert, wie du ihn im Stich gelassen hast. Ich werde ihn davon überzeugen, dass du ihn nie geliebt hast, werde dafür sorgen, dass er dich mehr hasst als jeden anderen auf der …“
Brüllend vor blinder Wut stieß ich sie von mir. Meine Hand glitt an ihr vorbei und ich vernahm ein nasses, saugendes Geräusch. Plötzlich klappte sie nach vorn und versteifte sich, die Augen schockgeweitet.
Schwer atmend versuchte ich, sie von mir herunterzuhieven, die Faust immer noch fest um den Dolch geklammert. Aber irgendetwas stimmte nicht. Als ich die Hand zurückziehen wollte, spürte ich Widerstand in dem Dolch und Calliope beugte sich noch weiter über meinen Arm.
Ihre Schreie verwandelten sich in ein ersticktes Gurgeln und mit letzter Kraft zerrte sie an meinem Ellbogen. Die Waffe glitt mir aus den Fingern, und endlich riss Calliope sich von mir los, während sie sich panisch mit den Händen an die Brust fuhr.
Hastig krabbelte ich rückwärts von ihr weg. Schräg aus ihrem Brustbein ragte das silberne Heft des Dolchs hervor und zeigte genau auf ihr Herz. Blut strömte aus der Wunde und zuckend brach Calliope zusammen. Das goldene Glühen erlosch, bis nichts mehr davon übrig war.
„Du …“, brachte sie hervor, kaum hörbar, doch den Rest ihrer Worte nahm sie mit ins Grab. Ihre Bewegungen versiegten und blicklos starrten ihre leeren Augen zu mir herüber.
„Nein“, flüsterte ich. „Das hast du dir selbst angetan.“
Und mit einem Mal explodierte der Himmel, gleißendes Licht barst durch die Dunkelheit. An die Stelle des Kriegsgebrülls trat ein Chor der herrlichsten Stimmen, die ich je vernommen hatte, und Calliopes Leib unter mir begann wieder zu glühen. Ich hastete zurück zu Ava und nahm ihre Hand. Nicholas kam zu uns, und trotz der dicken Tränen, die ihm über das Gesicht liefen, lächelte er.
Die schwarzen Wolken zogen sich wieder zu einem Zyklon zusammen, der immer kleiner und dichter wurde, bis die Dunkelheit die Gestalt eines Mannes annahm. Kronos.
„Rhea!“, donnerte er und seine Stimme kam von überall zugleich. Da nahm auch das weiße Licht Form an und Rhea stieg vom Himmel herab. Sie war noch immer in Gestalt des Mädchens, das wir in Afrika getroffen hatten, doch trotz ihrer zarten Statur strahlte sie unglaubliche Macht aus.
An Kronos vorbeischreitend, als wäre er gar nicht da, kniete sie sich neben Calliopes gebrochenen Leib. „Meine Tochter“, flüsterte sie. Mit einer Berührung von ihr verschwand das Blut, und der Dolch fiel zu Boden, matt und ohne jeden Schimmer titanischer Macht. „Was ist mit dir passiert?“
Ich wischte mir die Augen und merkte erst dann, dass ich mir Calliopes Blut übers Gesicht geschmiert hatte. Und da traf mich das ganze Ausmaß dessen, was ich getan hatte. Meine Schultern beugten sich unter der Last der Schuld. Ich hatte Rheas Kind getötet. Hatte ihr genau das angetan, was Calliope mir und Milo hatte antun wollen. Ich war tatsächlich eine Mörderin.
Aber es war keine Absicht gewesen – ich hatte mich nur verteidigt. Es war Calliope gewesen, die nicht hatte aufgeben wollen. Sie war es, die auf mich losgegangen war. Sie hatte das alles in Gang gesetzt, nicht ich.
Doch hätte ich die Chance gehabt, es noch einmal zu tun, ich hätte sie ergriffen. Was sagte das über mich aus? „Es tut mir leid“, brachte ich erstickt hervor. „Ich hatte keine andere Wahl.“
Rhea blinzelte und eine einzelne silberne Träne rollte ihre Wange hinab. „Nein, die hattest du wohl nicht.“
Einer nach dem anderen kamen die restlichen Götter zu uns aufs Dach, Kronos leistete ihnen nicht länger Widerstand. Doch nicht Calliope und Rhea waren es, zu denen sie gingen;
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