Der Preis der Ewigkeit
ganzes Leben hatte ich in dem Glauben verbracht, mein Vater hätte meine Mutter schon ganz zu Anfang verlassen, dass er möglicherweise nicht einmal von meiner Existenz wüsste. Das war leichter, als sich mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass er es gewusst und es ihn einfach nicht gekümmert hatte. Und wenn Walter mein Vater war, dann stand außer Frage, dass er nicht bloß von mir gewusst hatte, sondern dass ihm auch bis ins kleinste Detail bekannt war, was meine Mutter und ich durchgemacht hatten. Und es war ihm nie in den Sinn gekommen, uns zu helfen.
Als ich auf ihn und meine Mutter zuging, spürte ich eine tiefe Verbitterung. Er sagte nichts, als meine Mutter mich in den Arm nahm, und ich barg das Gesicht in ihrem Haar, sog ihren Duft in mich auf. Es spielte keine Rolle, wer Walter für mich war. Ich hatte meine Mutter und brauchte keinen Vater.
„Wo sind die anderen?“, fragte ich. Nicht, dass ich erwartete, es würde ihnen etwas ausmachen, dass ich ging, aber ich hatte gedacht, sie würden wenigstens James anständig verabschieden.
„Versuchen, Kronos wieder ganz auf die Insel zurückzudrängen“, erklärte meine Mutter grimmig. „Wir werden uns ihnen anschließen, wenn ihr fort seid.“
Angst erfüllte mich. Ich hatte meine Mutter nie als Kriegerin wahrgenommen. Natürlich hatte sie hart gegen den Krebs gekämpft, der sie schließlich ihre sterbliche Hülle gekostet hatte, doch dies war kein Krebs. Dies war Krieg, und bei der Vorstellung, wie meine Mutter an der Seite von Gestalten wie Dylan und Irene und Walter kämpfte, drehte sich mir der Kopf. Sie war die sanftmütigste Person, die ich kannte.
Doch hier konnte niemand in der zweiten Reihe stehen. Hätte ich kämpfen können wie die anderen, wäre ich selbst an vorderster Front gewesen; hätte jedes bisschen meiner Macht eingesetzt, um meinen Sohn zurückzuholen. Wie die Dinge standen, war dies die einzige Weise, auf die ich helfen konnte – und das war der Grund, warum niemand, nicht einmal Henry, es mir würde ausreden können.
„Kate“, hob Walter an und meine Mutter löste sich von mir. „Dir ist klar, dass Rhea genauso stark ist wie Kronos, nicht wahr?“
Ich betrachtete ihn. Wir sahen einander nicht im Geringsten ähnlich, aber da Götter ihr Erscheinungsbild verändern konnten und es auch taten, hieß das nicht viel. „Ja, schon klar. Ist es nicht genau das, worum es geht?“
„Schon“, bestätigte Walter und warf meiner Mutter einen Blick zu, den ich nicht verstand. „Aber das bedeutet auch noch etwas anderes. Wenn du sie dazu drängst, etwas zu tun, wozu sie nicht bereit ist – oder sie auf irgendeine andere Weise verärgerst –, kann sie unserer Sache genauso sehr schaden wie er.“
„Also soll ich mich bei ihr einschleimen?“, entgegnete ich. „Wir befinden uns mitten im Krieg.“
„Ja, das ist mir bewusst“, erwiderte Walter trocken. „Ich bitte dich einfach nur, ihr den gebührenden Respekt zu erweisen. Sie ist unsere Mutter. Deine Großmutter – väterlicher- und mütterlicherseits…“
Ich explodierte, und die Verbitterung, die ich so verzweifelt zu unterdrücken versucht hatte, barst hervor. Es war eine Sache, wenn ich wenigstens die Wahl hatte, so zu tun, als hätte ich nicht den geringsten Schimmer von seiner Rolle in meinem Leben. Aber dass er mir dieses Wissen gerade jetzt aufzwang …
„Bitte?!“, fuhr ich dazwischen. Meine Mutter drückte meinen Ellbogen, doch ich schüttelte sie ab. „Wenn du damit endlich zugeben willst, dass du mein Vater bist …“
„Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, Kate“, warnte meine Mutter.
„Das wird es nie sein“, gab ich zurück. „Es ist eine ganz einfache Frage, Walter. Bist du mein Vater?“
Er hob das Kinn und blickte an seiner Nase entlang auf mich herab. „Ja. Mir war nicht klar, dass das je infrage stand.“
Als wäre es keine große Sache. Als spielten die Jahre, die ich vollkommen allein mit der Sorge um meine Mutter verbracht hatte, keine Rolle. Ihn zahllosen Nächten hatte ich mich in den Schlaf geweint, erfüllt von der grauenhaften Furcht, ich würde aufwachen und plötzlich allein auf der Welt sein – und in all diesen Jahren hatte mein Vater nicht nur von mir gewusst, sondern war auch jederzeit informiert gewesen, wo wir uns befanden und was wir durchmachten.
„Glück gehabt, Walter. Ich brauche keinen Vater“, warf ich ihm an den Kopf. „Und jetzt muss ich eine Titanin suchen, wenn’s euch nichts ausmacht.“
„Kate“,
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