Der Preis der Ewigkeit
Stufen.
„Schätze, es gibt doch eine Treppe in den Himmel“, witzelte James grinsend, und wäre ich nicht so angespannt gewesen, hätte ich gelacht. Er hatte keine Ahnung, wie recht er hatte.
Eilig gingen wir die Stufen hinauf, unsere Schritte so leise wie der Rest der Welt um uns herum. Zwei Stockwerke höher wies ich mit dem Kinn auf die Tür, und James schob sie weit genug auf, dass wir hindurchschlüpfen konnten.
„Ich gehe vor“, flüsterte ich. Wenn auf der anderen Seite Kronos wartete, würde er mich nicht angreifen. James allerdings stand nicht auf der Gästeliste. Vorsichtig glitt ich durch den Türspalt in den leeren Flur mit seinen dunkelblauen und goldenen Wänden und wartete drei Herzschläge ab, bevor ich James hinterherwinkte. „Welches ist Milos Zimmer?“ Ich hatte mich nie außerhalb des Kinderzimmers aufgehalten, aber James war während meiner Vision hinausgeschlüpft.
„Das vierte in dieser Richtung“, sagte er und ergriff meine Hand. „Kate, wenn irgendwas schiefgeht …“
„Guten Abend.“
Kalt und vollkommen emotionslos ertönte Kronos’ Stimme. Ich wirbelte auf dem Absatz herum, wobei ich automatisch schützend vor James trat, aber das war nur eine bedeutungslose Geste, das wussten wir alle. Wenn Kronos vorhatte, James zu töten, müsste er mich nicht um Erlaubnis fragen. Der Korridor drehte sich um mich, und ich klammerte mich an James’ Ärmel, um das Gleichgewicht zu halten. Warum hatte ich bloß zugelassen, dass er mitkam? Wenn er nun auch sterben musste …
Nein, das durfte er nicht. Ich würde es nicht zulassen. Nach allem, was geschehen war, nach allem, was James für mich getan hatte, würde ich ihn nicht einfach so opfern.
„Ich hab doch gesagt, dass ich komme“, erwiderte ich so eisig, wie ich konnte, aber im Vergleich zu Kronos wirkte ich geradezu freundlich. Mit seinem Ton hätte er die Sonne gefrieren lassen können.
„Das hast du, aber ich kann mich nicht erinnern, mich mit einem Begleiter einverstanden erklärt zu haben.“
„Ich kann Milo ja wohl schlecht selbst zurück auf den Olymp bringen. James nimmt ihn für mich mit.“
„Ist das so?“, murmelte Kronos und James nickte knapp. Seine Augen glänzten zu sehr, sein Kiefer war angespannt und er stand starr wie eine Statue da. Er war kein Feigling, und er hatte mich praktisch erpresst, ihn mitzunehmen – also warum benahm er sich, als würde er jeden Moment das Weite suchen?
Es musste die direkte Aufmerksamkeit sein, die ihm nun durch Kronos zuteilwurde. Für James war es eine Sache, sich im Hintergrund zu halten, sodass der Titan ihn nicht wahrnahm, aber eine ganz andere, mitten in dessen Fokus zu stehen. Auch ich hatte lange gebraucht, um mich an die Art zu gewöhnen, auf die Kronos mich ansah – als könnte er direkt in mich hineinschauen und jeden Gedanken lesen, den ich je gehabt hatte. Würde so auch Walter reagieren, wenn er seinem Schöpfer je wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüberstünde?
Aber James – der tapfere, süße, witzige James – reckte das Kinn und hielt Kronos’ Blick stand.
Pures Entsetzen grub sich durch meine Eingeweide, von den Zehen bis in die Fingerspitzen. Mir würde Kronos nichts tun, egal, wie aufmüpfig ich mich benahm, solange er nur glaubte, ich würde ihm gehören. James hingegen war für ihn entbehrlich – kaum besser als die Millionen Menschen, die er sowieso schon ohne viel Federlesens ausgelöscht hatte.
„Ja“, antwortete James. „Und wenn’s dir nichts ausmacht, würde ich jetzt gern erledigen, weswegen ich hergekommen bin.“
„Tu dir keinen Zwang an.“ Ein seltsames Lächeln umspielte Kronos’ unheimlich perfekte Lippen und mit großer Geste trat er zur Seite.
Was hatte er vor? James ging los und ich blieb an seiner Seite, klammerte mich an seinem Ärmel fest. Wenn das irgendeine Art von Falle war, wenn Kronos es von Anfang an gewusst hatte und James nur hereinlegen wollte …
Doch der Titanenkönig versuchte nicht, mich aufzuhalten. Zusammen eilten James und ich auf das Kinderzimmer zu, während mir das Herz bis zum Hals schlug. War Milo noch da? Hatte Kronos ihm etwas angetan? James und ich griffen gleichzeitig nach der Türklinke, aber bevor einer von uns das Metall berührte, flog die Tür auf.
Calliope.
Im ersten Moment weiteten sich ihre Augen vor Schreck, doch augenblicklich fing sie sich und setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. Mittlerweile sah sie vom Alter her wie Sofia und meine Mutter aus, deutlich angemessener für
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