Der Preis der Ewigkeit
Milo zu Henry schaffen?“
Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Womit würde er denn noch ankommen, damit ich ihn mitnahm? Aber auch wenn er scheinbar gerade beschlossen hatte, sich noch mal so richtig wie ein manipulatives Arschloch zu benehmen – er hatte recht. Ich hatte wie selbstverständlich angenommen, Kronos würde mich Milo selbst auf den Olymp bringen lassen oder dass er ihn irgendwie dorthin schickte – aber für Kronos war der Olymp unerreichbar, und wenn ich erst einmal auf der Insel war, würde er mich mit Sicherheit nicht wieder gehen lassen. Jedenfalls nicht, bevor dieser Krieg ein Ende fand.
„Du machst mich wahnsinnig“, grummelte ich und streckte die Hand aus. Mit selbstgefälliger Miene griff James danach. „Ich weiß nicht, wie das mit dem Mitnehmen geht.“
„Das kriegst du schon raus“, meinte er. „Ich vertraue dir.“
„Vertrauen hat nichts damit zu tun, was ich kann und was ich nicht kann.“
„Mach genau dasselbe wie letztens, als du mich zu Milo und Kronos mitgenommen hast“, sagte er. „Denk gar nicht drüber nach.“
Das war leichter gesagt als getan. Bei dem tosenden Lärm um uns herum fiel es mir schwer, mich zu konzentrieren, aber wenn ich es nicht schaffte und Kronos glaubte, ich hätte unsere Abmachung nicht eingehalten, würde er wer weiß was tun. Es musste klappen, also Schluss mit dem Theater.
Ich versenkte mich ganz in meinen Körper, nahm jeden Zentimeter davon wahr und weitete mein Bewusstsein dann auf James aus, so weit ich konnte. Es fühlte sich gezwungen an, als würde ich es mir bloß einbilden, aber James wusste, was auf dem Spiel stand. Wenn er bereit war, es zu riskieren, war ich auch bereit, es zu versuchen.
Immer stärker ballte sich der Lärm von Tokios Straßen um uns herum zusammen, eine dröhnende Wand, die nach allem und nichts zugleich klang. Das Tosen wurde immer lauter, bis es mich ganz verschlang, und dann …
… war ich plötzlich am Ertrinken.
Wasser füllte meine Lungen, als ich in einem allzu menschlichen Reflex zu atmen versuchte. Ich schmeckte Salz und ruderte mit den Armen, die Hand immer noch fest um die von James geklammert, doch das half auch nicht unbedingt. Er sank wie ein Stein, genau wie ich, und gemeinsam glitten wir immer tiefer hinab in den pechschwarzen Ozean.
Wir würden sterben. Oder zumindest für den Rest der Ewigkeit am Meeresgrund gefangen sein. Um unsere Leiber würde sich Seegras winden und uns unten halten, bis das Meer bereit war, uns tiefer in seinen Schoß zu ziehen. Bis wir hier wieder rauskamen, wäre meine Zeit lange abgelaufen, und Kronos würde glauben, ich hätte mich ganz von ihm abgewandt. Weitere Menschen würden sterben, und nichts, was ich sagen oder tun konnte, würde ihn zum Aufhören bewegen.
Rein gar nichts.
12. KAPITEL
AUF DEM MEERESGRUND
Verzweifelt riss ich den Mund auf, um nach Hilfe zu rufen, doch ich hatte keine Luft mehr zum Schreien. Nirgends konnte ich die Oberfläche entdecken. Alles floss ineinander über – zu einem einzigen Albtraum von Dunkelheit, und ein tiefes Grauen verschlang mich so vollständig, dass ich nicht mehr denken konnte.
Es war zu spät. Das Ende war gekommen.
Ich hätte mir wirklich von Ava das Schwimmen beibringen lassen sollen.
„Gibt’s Probleme?“, erklang da plötzlich eine Stimme neben mir, so glasklar, als wären wir an der Oberfläche. Ich wirbelte herum und wäre vor Erleichterung fast in Ohnmacht gefallen.
Phillip, Herrscher der Ozeane, schwebte neben uns im Wasser, als stünde er ganz normal an Land. In diesem Moment war mir egal, dass er offenbar gewusst hatte, was wir taten oder was ich vorhatte; und es war mir auch egal, dass es durch ihn garantiert auch Walter wüsste. Solange ich nicht den Rest der Ewigkeit am Meeresgrund verbringen musste, war mir alles egal.
Hilf uns , formte ich mit den Lippen und gestikulierte in Richtung der Hand, mit der ich immer noch James hielt. Hier unten im Wasser war es so dunkel, dass ich ihn nicht mehr erkennen konnte.
„Natürlich“, brummte Phillip und blickte in die Richtung, die vermutlich oben war. Eine starke Strömung ergriff uns alle drei und trug uns mit berauschender Geschwindigkeit auf die Oberfläche zu. Als durch den letzten halben Meter Wasser endlich die Sterne zu sehen waren, sog uns die Flut plötzlich seitwärts, und panisch strampelnd versuchte ich, an die Luft zu gelangen. Es fehlten nur noch ein paar Zentimeter.
„Und hier ist eure Haltestelle, wenn ich mich nicht irre“,
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