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Der Preis des Lebens

Der Preis des Lebens

Titel: Der Preis des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Endres
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zu sein schien, gab es doch genügend Schatten, die der jungen Frau Unbehagen bereiteten. »Wo ist der Vampir?«, fragte sie schließlich zwischen zwei hungrigen Bissen.
»Feuerholz sammeln«, entgegnete der Jagam, wobei ihm das Gesagte eine seltsame Genugtuung zu verschaffen schien.
*
    Lorn stieß einen Seufzer aus, als er den misstrauischen Blick des Mädchens bemerkte. Der Nachtjäger bereute bereits, nicht doch Feuerholz sammeln gegangen zu sein und das Feld Visco überlassen zu haben. Dieser mochte zwar die meiste Zeit über eine echte Nervensäge sein, doch er konnte erheblich besser mit Frauen, ja überhaupt mit solchen Situationen umgehen.
»Ja, er ist ein Vampir«, eröffnete Lorn dem Mädchen irgendwann griesgrämig, da er ihren verunsicherten Blick nicht länger ertragen konnte – es war der durchdringende Blick eines verschreckten Mädchens, verborgen hinter den dunklen, sinnlichen Augen einer erst vor kurzem aufgeblühten Frau. »Manchmal ist er außerdem ein echte Plage und ein öffentliches Ärgernis«, fügte der Jagam hinzu, »aber in erster Linie ist er mein Partner.« Lorn fuhr sich mit der behandschuhten Rechten durch den kurzen Kinnbart. »Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben. Vielleicht wird er sich wie üblich unsittlich benehmen – aber beißen wird er dich nicht. Jedenfalls nicht, wenn du es nicht möchtest ...«
»Aber er ist ein Vampir!«, schnappte das Mädchen erregt.
»Stimmt«, bestätigte Lorn ruhig. Der Nachtjäger bedachte seine Hälfte des Apfels mit einem nachdenklichen Blick, suchte nach den richtigen Worten. »Wenn in einem der Äpfel ein Wurm ist – bedeutet das dann, dass alle anderen Äpfel des Baums ebenfalls verwurmt sind?«
Das Mädchen sah erst Lorn und dann das letzte Stückchen Apfel in ihrer Hand an. Sie blinzelte verständnislos.
Lorn seufzte. »Die beiden Banditen, die dich überfallen haben, waren Menschen. Wahrscheinlich hätten sie dich getötet. Wollen deshalb alle Menschen deinen Tod?«
Zaghaftes Kopfschütteln.
»Siehst du. Visco ist so etwas wie ein Vampir, ja. Doch wenn mich nicht alles täuscht, dann sollten Vampire, wie du sie aus den Geschichten kennst, weder unter der Sonne wandeln, noch Feuerholz sammeln. Oder gar mit jemandem unterwegs sein, der die Rüstung eines Jagam trägt, oder?«
»Das nicht, aber ...«
» Das muss dir für den Augenblick genügen. Bei Visco ist nicht alles so, wie es den Anschein hat. Und für dich ist eh nur interessant, dass er dir nichts tun wird. Genau genommen hast du es sogar ihm zu verdanken, gerettet worden zu sein.« Lorn entschied sich, eine Grenze zu überschreiten. Visco bedeuteten Zuneigung und Sympathie des Mädchens wesentlich mehr als ihm. »Wäre es nach mir gegangen, würdest du jetzt mitten im Wald erwachen – mit ein paar Leichen in Reichweite und sicher auch dem einen oder anderen Tier, das Aas und ohnmächtige Mädchen für ein willkommenes Abendbrot hält.«
Große Augen starrten ihn fassungslos an.
»Und Ihr seid ein Jagam?«, fragte das Mädchen schockiert.
Lorn seufzte erneut. Wo blieb eigentlich Visco?
*
    Für Wambarcs Geschmack war das Ganze fast schon zu einfach.
Die Männer auf dem Wall wurden von dichten Nebelschwaden eingehüllt, während er und seine Leute in aller Ruhe zwischen den letzten Baumstämmen am Waldrand Position beziehen konnten. Sie warteten, lauschten, gaben sich geduldig, doch schließlich gab Wambarc seinen Jungs das ausgemachte Zeichen. Daraufhin ließen die Söldner ihre Pferde in einen leichten Trab fallen; lumpenumwickelte Hufe sorgten dafür, dass die Tiere trotzdem kaum ein Geräusch verursachten. In kürzester Zeit hatten die Söldner so ungefähr zwei Drittel der Strecke zwischen Waldrand und Palisadenzaun überwunden.
Da hallte ein Hornsignal durch den Nebel.
Also hatte man sie doch noch entdeckt.
Wambarc grinste. Zu spät.
»Ho!«, rief der Söldnerhauptmann mit laut durch den Nebel hallender Stimme. Darauf kam es nun auch nicht mehr an.
»Das ist nahe genug!«
Er zügelte sein Pferd. Seine Männer taten es ihm gleich und bezogen in einer geordneten Reihe zu beiden Seiten ihres Hauptmanns Aufstellung. Eingefettete Waffen fuhren aus Scheiden, Streitkolben aus Schlaufen, Äxte aus Futterals. Zwei von Wambarcs Männern griff zudem nach kurzen Bögen und Köchern mit Pfeilen, die an ihren Sätteln befestigt waren. Wambarc hatte indessen ebenfalls sein Schwert gezogen und hielt es wie eine Standarte nach oben: ein weiteres Zeichen, auf das seine Männer fast wie im

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