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Der Preis des Lebens

Der Preis des Lebens

Titel: Der Preis des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Endres
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Lorns Schwertarm noch ein Stück nach unten. »Das hätten wir von Anfang an tun sollen.«
»Du wirst weich.« Lorn riss sich mit einem letzten energischen Ruck endgültig von Visco los. Um dies zu verhindern, hätte der Vampir bereit sein müssen, seinen Freund körperlich ernsthaft zu verletzten. Lorn unterdessen ließ sofort die Zügel knallen und hielt in direkter Linie auf Flank zu. Der Bürgermeister brachte sich im letzten Moment mit einem verzweifelten Satz zur Seite in Sicherheit. Der Beutel mit den Ersparnissen der Dorfgemeinschaft öffnete sich im Flug: Kelche, Eheringe, Silberlöffel, Münzen, Ketten und Broschen fielen wie prunkvolle Tropfen aus Silber und Gold in den Staub vor dem Tor. Die Egemunder schrien entsetzt auf, als sie ihre Wertsachen im Dreck liegen sahen. Bereits einen Herzschlag später begannen sie allerdings panisch zu kreischen , als Lorn mit unverminderter Geschwindigkeit, von kaltem Zorn beherrschten Gesicht und blank gezogener Klinge auf sie zu hielt. Auf einmal versuchten die eng beisammen stehenden Egemunder alle gleichzeitig, dem Jagam und seinem Ross aus dem Weg zu gehen. Dabei standen sie sich größtenteils aber nur gegenseitig im Weg und auf den Füßen herum, weshalb vielen der Männer und Frauen am Ende ebenso wie Flank zuvor nur ein Hechtsprung in den Staub blieb, während die stampfenden Hufe von Lorns Reittier Münzen und Silberlöffel aufwirbelten. Der Nachtjäger trieb seinen stämmigen Braunen von all dem unbeeindruckt durch die Menge.
Nachdem er sich an den letzten Dorfbewohnern vorbei gedrängt hatte, spornte er sein Pferd noch weiter zum gestreckten Galopp an und preschte auf die blutgetränkte Lichtung. Die dort versammelte Krähenschar schoss wie eine schwarze Wolke in die Luft und stob mit klappernden Flügeln und lautem Geschimpfe zur Seite, als Lorns Pferd mit dröhnendem Hufen durch ihre Reihen pflügte.
Erst als Lorn den Waldrand erreicht hatte und im finsteren Gehölz verschwunden war, kehrten die Vögel wieder zu ihrem schaurigen Schmaus zurück.
Viscos Blick strich über die am Boden liegenden, heftig murrenden Dörfler, ehe er zum Waldrand blickte.
Traurig schüttelte er den Kopf.

4.

Visco stützte sich schwer auf die Brustwehr und starrte zum Waldrand. Es waren noch keine vier Stunden vergangen, seit Lorn im Schatten der Bäume verschwunden war – dennoch kamen Visco bereits jetzt erste Zweifel an seiner Entscheidung. War es richtig gewesen, allein in Egemunde zurück zu bleiben?
Die Dörfler hatten seit Lorns spektakulärem Abgang emsig am Tor weitergearbeitet. Zumindest ihnen schien die Anwesenheit des blassen Fremden mit dem Rapier neue Hoffnung gegeben zu haben. Unermüdlich schafften sie Holz herbei, bearbeiteten es und brachten es in Form. Inzwischen schnitzten ein paar Männer sogar an einem neuen Riegel, während andere eine Reihe dicker, bauchiger Fässer aus dem Vorratskeller des Gockels herbei rollten, um später eine zusätzliche Barrikade vor dem Tor errichten zu können.
Visco vermutete, dass sie es bis Sonnenuntergang mit Ach und Krach schaffen würden, das Loch im Wall zu verrammeln.
Ob das allein sie vor dem Untergang bewahren würde, vermochte er allerdings nicht zu sagen.
Der Blick des Vampirs ließ vom Waldrand ab und glitt über die Krähen, die immer noch wie Könige zwischen den Kadavern umherstolzierten und gelegentlich nach einem kalten Fleischbrocken pickten.
Nach einer Weile kündete ein Knarren hinter Visco einen weiteren Zaungast an.
Bürgermeister Flank erschien leise keuchend neben Visco und warf einen angewiderten Blick auf die schwarz gefiederten Todesboten und ihren Leichenschmaus der etwas anderen Art.
»Seid Ihr sicher, dass wir sie nicht doch verbrennen sollen?«, fragte Flank nicht zum ersten Mal. »Es gefällt mir nicht, die Toten da draußen einfach rumliegen zu lassen. Scheint mir geradezu eine Einladung für die Wölfe zu sein.«
»Ich verstehe Eure Bedenken, Bürgermeister. Aber es könnte durchaus sein, dass die Wölfe sich damit zufrieden geben, ihr begonnenes Mahl zu beenden.« Visco war sich der trügerischen Hoffnung dieses Gedankens durchaus bewusst – einen Versuch war es dennoch allemal wert. Was hatten sie schon zu verlieren?
Flank schien seine Skepsis zwar zu teilen, schwieg aber.
»Da ist noch etwas, über das ich gerne mit Euch sprechen würde«, begann er dafür nach ein paar Augenblicken umständlich. »Vater Murvin war vorhin bei mir und hat sich ... beschwert . Nein, lasst mich ausreden!

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