Der Preis des Lebens
verschwanden die Wölfe wie Waldgeister im toten Winkel direkt vor dem Zaun.
Visco trat hastig einen Schritt zurück. Auch die anderen Männer taumelten erschrocken nach hinten, als die ersten Wölfe in gespenstischer Stille aus vollem Lauf absprangen, die halbe Distanz zwischen Boden und Walloberkante überwanden und sich mit ihren im Fackelschein blitzenden Klauen an die grob behauenen Baumstämme krallten, um wie dicke, hässliche Raubkatzen das letzte Stück nach oben zu klettern.
Ein heftiges Beben ging durch den gesamten Wall.
Visco warf einen raschen Blick durch die Sehschlitze im Boden der Plattform. Ein Geruch wie nach nassem Hund stieg ihm in die Nasse und ließ ihn das Gesicht verziehen.
Die Wölfe unter ihm richteten sich gerade auf die Hinterbeine auf und schnüffelten geräuschvoll. In der Schulter doppelt so breit wie der Vampir und auch gut zwei Kopf größer, waren die zottigen Untiere aus der Nähe selbst für Visco, der einiges gewohnt war, ein Furcht erregender Anblick. Dadurch, dass sich die haarigen Bestien plötzlich mit aller Macht gegen das Tor warfen oder wild mit ihren Pranken dagegen trommelten, wurde das Ganze nicht angenehmer.
Visco riss den Blick von den Wölfen unter ihm los und eilte nach links, wo eine erste große, haarige Pranke auf der Oberkante der Brustwehr erschien. Die umstehenden Egemunder umklammerten ihre Waffen und wichen gaffend vor dem haarigen Ding auf dem Holz zurück, als sei es der Meister der Sieben Höllen persönlich, der im Körper einer verhexten Wollspinne nach ihren Seelen griff. Keiner der Dörfler machte Anstalten, mit Axt oder Sichel auf den Wolf einzuschlagen.
Viscos Rapier sauste mit einem leisem Zischen herab, noch bevor der Wolf seinen zweiten Arm ganz über die feucht schimmernde Brustwehr heben konnte. Die scharfe Klinge trennte die Pfote sauber über dem Gelenk vom Rest des Arms ab. Mit einem Winseln fiel der Werwolf zurück in die Nacht.
Dunkles Blut blieb auf dem Holz zurück. Visco spießte die Pfote auf, reckte sie wie eine grausige Standarte in die Höhe und schleuderte sie angewidert in die Nacht, wo sie schon nach ein paar Metern im dichten Nebel verschwand.
Die Männer jubelten und reckten ihre Waffen in die Luft.
Visco nickte ihnen aufmunternd zu. Er wusste sowohl um die Nichtigkeit , als auch um die Wichtigkeit dieses ersten Blutvergießens. Gewonnen war mit dieser Pfote gar nichts. Dennoch hatten die Egemunder nun zumindest mit eigenen Augen gesehen, dass ihre Feinde aus der Finsternis zu verletzten, vielleicht sogar zu töten waren.
Sichtlich von neuem Mut beseelt, traten die Männer in der Folge beherzt nach vorn und stellten sich dem Feind im Nebelkleid der Nacht.
Keinen Augenblick zu früh.
Überall versuchten die Wölfe nun, wie riesige, missgestaltete Affen über die Palisade zu klettern. Konzentrierte Angriffe auf mehrere Stellen wechselten sich mit einzelnen, scheinbar willkürlichen Durchbruchversuchen ab. Visco und die Egemunder hatten alle Hände voll zu tun und rannten in kleinen Einheiten von bis zu fünf Mann unermüdlich auf dem Wehrgang hin und her. Immer wieder teilten sie Hiebe und Schläge in Richtung Holzoberkante aus oder stachen mit langschäftigen Waffen nach unten in die von wabernden Schwaden und rot glühenden Augen durchdrungene Schwärze.
Doch selbst wenn ein Wolf mit einer Schnittwunde an der Schnauze oder den Armen in die Tiefe zurückkehren musste, dauerte es in der Regel nicht lange, bis das Untier es an einer anderen Stelle einfach von Neuem versuchte, währenddessen zwei seiner Rudelgefährten keine zehn Meter daneben einen eigenen Versuch starteten und somit – beabsichtigt oder nicht – ein Ablenkungsmanöver fingierten.
Viscos Rapier blitzte im roten Licht der Fackeln wie ein Kometenschweif. Er und seine schlanke Klinge halfen, wo gerade Not am Mann war oder der Mut sank, hackten und schnitten und stachen und stießen; der Vampir und sein Rapier schienen allgegenwärtig zu sein.
Dennoch gab es auch auf Seiten der Verteidiger Verluste: Wolfskrallen fanden immer häufiger ihr Ziel und hinterließen böse Verletzungen, zumeist heftig blutende, fürchterlich brennende Kratzer, aber auch ein paar hässliche Fleisch- und sogar Bisswunden. Dank Viscos Unterstützung schafften es die Egemunder jedoch, die Werwölfe zumindest in den ersten Minuten des Angriffs in Schach zu halten und daran zu hindern, über die Balustrade und auf den Wall zu klettern.
Dann verlor ein unvorsichtiger Egemunder allerdings sein
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