Der Preis des Lebens
Augenlicht, als er allzu forsch über die Balustrade spähte und ein Wolf just in diesem Moment seine krallenbewehrte Pranke nach oben schnellen ließ. Fast zeitgleich wurde ein anderer Dörfler fünfzehn Meter weiter rechts gar von einer der Werbestien gepackt und kreischend mit nach unten in die Nacht gezogen, nachdem der Mann seine im Brustkorb des Wolfes steckende Axt nicht schnell genug losgelassen hatte.
Sein Schrei erstarb abrupt. Ihm folgten die grässlichen Geräusche eines blutigen Festmahls unten im Nebel.
Visco konnte förmlich dabei zusehen, wie das wilde Reißen und Knurren die Männer oben auf dem Wall demoralisierte und ihren Mut von Neuem dämpfte. Anders als die Dörfler wusste der Vampir, dass das nun mal die Natur des Krieges und des Kampfes war – das ganz normale, ewige Hin und Her der Schlacht. Aber woher sollten Bauern, Schuster und Holzfäller, egal wie tapfer sie auch kämpften, das wissen? Visco grunzte zufrieden, als seine Klinge einem Wolf die Kehle öffnete und das rote Feuer in dessen Augen erlosch. Die Dörfler würden die Lektion schnell begreifen. Andernfalls würden sie heute Nacht alle zusammen sterben.
*
Auch vor dem Tor wüteten die Wölfe.
Holz knarrte, wölbte sich gefährlich nach innen und bekam Risse, ja brach und splitterte sogar bereits, nachdem die animalischen Angreifer sich unermüdlich dagegen warfen.
Gerade schob sich erstmals eine haarige Pfote zwischen zwei mit roher Gewalt aufgerissenen Brettern hindurch. Lange Krallen schabten wütend über das Holz und hinterließen tiefe Furchen, ehe die Wolfspranke sich wieder zurück zog.
Kaum dass der zottelige Arm verschwunden war, warfen sich erneut schwere Körper von außen gegen Tor und Riegel.
»Wartet« , beschwor Lorn die Männer und spannte seinen eigenen Bogen. Die Egemunder neben ihm sowie das Quartett um Flank gegenüber folgten dem Beispiel des Nachtjägers.
Zehn Pfeilspitzen schimmerten im unsteten Licht der Fackeln und deuteten auf den Raum unmittelbar vor dem Tor.
Unterdessen warfen sich die Wölfe wieder und wieder gegen das Portal, das wie ein Segelschiff in der Mutter aller Stürme erzitterte und ächzte. Bald schon zeigten sich weitere Risse im Holz; die Bohlen und der schwere Riegel beulten sich ein ums andere Mal nach innen. Durch die gezackten Schlitze zwischen den abgesplitterten Brettern konnte Lorn bereits das rote Glühen der Wolfsaugen sehen.
Schließlich gab das Tor den Bemühungen der Bestien nach.
Mit einem letzten ohrenbetäubenden Reißen und Splittern zerbarsten der Riegel und die mittleren Bretter des Portals förmlich nach innen; Holztrümmer wurden explosionsartig in den Eingangsbereich des Dorfes geschleudert. Mit ihnen und dem Nebel kam der Tod aus der Finsternis nach Egemunde.
Noch ehe die letzten Splitter und Trümmer den Boden berührten, sprangen zwei Werwölfe in die Bresche. Die Lefzen nach hinten gezogen, schnüffelten sie in hektischer Gier nach Beute; Geifer tropfte ihnen von den struppigen, graubraunen, lang gezogenen Schnauzen.
Lorn grinste freudlos.
Hinter dieser knurrenden Vorhut drängten sich weitere massige Schemen mit roten Augen in Nebel und Dunkelheit ...
*
Viscos Rapier sauste auf ein zerrupft aussehendes Wolfshaupt herab, das allzu forsch an einer etwas abgelegenen Stelle des Walls über die Oberkante lugte. Die Klinge rasierte ein spitzes Ohr ab und drang von der Seite tief in den Schädel des Untiers. Das rote Licht in den Wolfsaugen erlosch schlagartig, ehe der stinkende Körper nach hinten kippte und mit einem dumpfen Aufschlag in der nebelverhangenen Tiefe aufkam.
»Da ist einer durchgebrochen!« Visco wirbelte herum.
Scheiße. Keine zwölf Meter von ihm entfernt stand ein riesiger graubrauner Wolf zu voller Größe aufgerichtet mitten auf dem Wehrgang. Vor ihm lagen zwei Männer mit geöffneten Kehlen in einer dunklen Lache. Die Augen des Wolfes glühten wie Höllenfeuer, als die Bestie kurz nach unten federte und im nächsten Moment wie eine haarige Kröte auf eine Schar Egemunder zusprang, die sich dem Eindringling eigentlich hatten entgegen werfen wollen. Jetzt stoben die Männer nur noch wie panische, willenlose Schafe auseinander. Zwei von ihnen taumelten ohne Einwirkung des Wolfes gar in blinder Furcht über die Balustrade und verschwanden in der von Nebelschwaden durchzogenen Nacht, wo sich die Gefährten der Werbestie über sie her machten – wenn die Dörfler sich nicht gnädigerweise vorher schon das Genick brachen. Ein Mann sprang gar freiwillig
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