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Der Preis des Lebens

Der Preis des Lebens

Titel: Der Preis des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Endres
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ertönte ein Geräusch. Leichter Stoff raschelte über Stein. Dann erschien ein großer Umriss vor Pa'orco. Der gräulich schimmernde Schattenriss löste sich aus der Düsternis und nahm die Gestalt der Göttin an. Plötzlich stand Sie in aller Herrlichkeit vor dem Waldläufer.
Pa'orco sank umgehend auf die Knie und starrte beschämt zu Boden. Alle Vorbereitungen durch den Schamanen brachten ihm in diesem erhabenen Augenblick rein gar nichts.
Oh, er war so unwürdig, so klein und so unbedeutend ...
»Lass das!« , tadelte ihn da die Stimme der Göttin milde.
Als Pa'orco sich nach mehreren Anläufen endlich dazu überwinden konnte, langsam den Kopf zu heben und nach oben zu schielen, sah er ein Lächeln auf dem wunderhübschen Gesicht der Heiligen. »Steh auf, kleiner Mann«, sagte die Göttin belustigt. »Du bist den weiten Weg doch nicht umsonst hergekommen. Oder willst du mir mit deinem kleinen Speer einfach nur so eine Freude machen?«
Die Worte ergaben für Pa'orco keinen Sinn. Nichts davon hatte der Schamane erwähnt. Stirnrunzelnd drehte der Kobold den Kopf zur Seite und starrte verwirrt auf seinen Speer.
Seinen Speer! Nirga'lo würde ihm die Haut abziehen und seine Seele an die ewig hungrigen Geister des Waldes verfüttern. Er hatte doch tatsächlich vergessen, seinen Speer abzulegen! Er hatte eine Waffe in das Heiligste aller Heiligtümer gebracht!
Panik kochte in Pa'orco hoch. Eine riesige Klaue griff nach seinen Innereien und drückte sie zusammen. Übelkeit stieg ihn ihm hoch. Da wählte man ihn nach vielen, vielen Prüfungen, in denen er sich ausgezeichnet hatte, aus so vielen anderen aus und bereitete ihn drei Mondläufe lang körperlich wie geistig darauf vor, zum Tempel zu wandern und der Göttin die Bitte des Stammes zu überbringen. Und dann entweihte er kleines, dampfendes Häufchen Marderkacke das irdische Heim der Heiligen, auf die er und die seinen fünfhundert Jahre lang gewartet hatten, indem er seinen Speer einschleppte!
Pa'orco wusste, was er zu tun hatte. Die Göttin sagte irgendetwas zu ihm –
lächelnd, mit einem belustigten Funkeln in den Augen –, doch hörte der Waldläufer ihr gar nicht zu. In seinem Kopf war nur noch Platz für die Schande, die soeben sein Leben zerstört hatte.
Wie ein aufgeschrecktes Eichhörnchen kam er auf die Füße, drehte sich um und rannte so schnell ihn seine kurzen Beine trugen aus der Höhle. Die Göttin rief ihm etwas hinterher, doch ignorierte Pa'orco die Worte wieder und verschloss sich erneut ihrer Bedeutung. Er war nicht würdig, dem Klang dieser Stimme zu lauschen. Nicht würdig, dass die Göttin auch nur einen müden Gedanken an ihn verschwendete.
Nicht. Würdig.
Pa'orco war erleichtert, als die Göttin im Eingang ihres Allerheiligsten stehen blieb. Zumindest brauchte er keine göttliche Vergeltung fürchten. Vorerst jedenfalls.
Der Kobold erreichte den Waldrand, fiel unter einem Busch auf die Knie und erbrach sich heftig.
Zitternd kniete er über seinem stinkenden Erbrochenen. Am liebsten wäre er hineingekrochen und auf der Stelle gestorben, ertrunken in dieser Pfütze seiner Schwäche.
Doch der tödliche Schlag blieb aus. Also erhob er sich unsicher. Als er mit steifen Bewegungen Chisputa losband und sich auf den Rücken seines Reittiers schwang, kam ihm alles sehr unwirklich vor, so als wäre er nur ein unbeteiligter Beobachter, der auf einem hoch gelegenen Ast saß.
Allerdings wusste er eines ganz genau: Er hatte nur zwei Möglichkeiten. Er könnte seiner unwürdigen, mickrigen, frevlerischen Existenz hier und jetzt ein Ende setzen und sich in seinen vermaledeiten Speer der Schande stürzen – oder er könnte die Schmach mit in die dunkelsten Tiefen des Waldes nehmen und als Einsiedler ein Leben in Demut und Buße führten. Ja. Das war es. Er würde abgeschieden von allen anderen im Wald hausen und auf ein himmlisches Zeichen der Vergebung warten; Ein Zeichen, dass ihm die Göttin die Entweihung ihrer Heimstätte verzieh.
Mit einem grimmig-entschlossenen Ausdruck auf dem tätowierten Gesicht überließ Pa'orco es dem Kaninchen, ihnen einen Weg in die Einsamkeit des Waldes zu suchen.
An den Verlust seines alten Lebens versuchte er nicht zu denken. Mit jedem Hopser, den Chisputa tat, streifte der Kobold ein Stück seiner Vergangenheit ab. Als die Bäume schließlich so dicht und bedrohlich beisammen standen, dass kein Licht mehr durch ihre hoch droben verknoteten, schwarzen Äste sickerte, gab es Pa'orco nicht mehr.
Nur noch die

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