Der Preis des Lebens
die im schwachen Schein des wiedererweckten Flammen eigentümlich glänzten.
»Nein.« Der Nachtjäger erhob sich und ließ sich mit einem Seufzer am rauen Stamm einer großen Eiche nieder. Seine Schulterwunde machte ihm in klammen Nächten immer noch zu schaffen. Es wurde Zeit, dass er sich einem magischen Heiler in Namask anvertraute, um auch die Restbeschwerden loszuwerden. »Ich hatte etwas zu erledigen. Schlaf weiter. Ich weck dich früh genug zu deiner Wache.«
Visco wusste, wann es sinnlos war, Lorn weiter mit Fragen zu bestürmen. Also murmelte er lediglich eine leise Verwünschung, wickelte sich wieder in seine Decke und versuchte, erneut in das Reich des Schlafes zu gleiten, indem er auf das ferne Murmeln des Flusses lauschte.
Dabei drang nach ein paar Augenblicken jedoch nicht nur das inzwischen vertraute Flüstern des Wassers an seine geschärften Sinne, sondern auch ein fröhliches, unbeschwertes Lachen, das der Wind zusammen mit dem feuchten Singsang des Stroms zu ihrem Lager unter den Bäumen trug.
Visco stützte sich auf den Ellenbogen und sah Lorn über das leise knisternde Feuer hinweg an.
Der Jagam ignorierte ihn.
Ein breites Grinsen stahl sich auf Viscos Züge.
Nun ergaben nicht nur die glänzenden Lederhandschuhe oder die im Schein des Feuers auf einmal sichtbaren Wasserflecken auf Lorns Hose einen Sinn. »Du hast doch nicht etwa ...?«
»Halt die Klappe und schlaf «, knurrte der Nachtjäger unwirsch.
Das letzte, was Visco vor dem Einschlafen sah, war Lorn, der hinter dem zuckenden Flammenvorhang mit einem Lappen das Blatt seiner Axt polierte, um die Spuren von Stein und Mörtel zu entfernen und ein Rosten des Metalls zu verhindern.
Kapitel V: Zweifelhafte Freundschaften
1.
Der Wind strich fauchend über das Dach des Silbernen Salamanders , ließ Schindeln wackeln und Fensterläden quietschen. Die sturmgepeitschte Nacht in Namask war dem Morgen bereits näher als dem Abend, die meisten Lichtquellen hinter den Fensterläden des zweistöckigen Gasthauses im Zentrum der Innenstadt erloschen.
Auch in Visco DeRáuls kleinem Mietzimmer unter dem Dach war es dunkel. Anders als die Gäste der übrigen lichtlosen Kammern lag Visco jedoch nicht in seinem Bett und wälzte sich allein oder zu zweit in den billigen, rauen Laken. Visco saß voll angekleidet auf dem einzigen Stuhl in der Düsternis seines gemieteten Domizils und brütete unter den dunklen Dachsparren nicht weniger düster vor sich hin.
Der Docht der Kerze, die vor dem Vampir auf den Tisch stand und warmes Licht ins Dunkel hätte bringen können, blieb dennoch kalt. Überhaupt würde der kleine schwarze Kerzenstummel auf dem Tisch niemals mehr brennen und die feurige Liebkosung einer Flamme spüren.
Visco DeRául hätte nie auch nur den Funken eines Gedankens daran verschwendet, diese Kerze zu entzünden. Der kurze Stummel war ein unantastbares Symbol, heilig in seiner Unheiligkeit. Diese Kerze verkörperte alles, was Visco war.
Oder, eben nicht mehr war .
Äußerlich war der Kerzenrest vollkommen unscheinbar. Nicht nur in der Düsternis der Dachkammer waren schon Viscos scharfe Augen und Sinne nötig, um das feine Runenzeichen zu erkennen, welches das ansonsten makellos glatte Äußere des pummeligen Wachsstummels zierte.
Viscos Blick durchdrang die Finsternis ohne nennenswerte Anstrengung und richtete sich auf besagtes Runenzeichen.
Obschon Nugal es ihm im Verlauf jener schicksalsträchtigen Nacht vor vier Jahren bestimmt diverse Male ausgiebig erklärt hatte, wusste Visco längst nicht mehr, was der scharfkantige Schnörkel genau bedeutete. Dagegen wusste er nur allzu gut, dass die krakelige Rune wie ein Siegel einen Großteil der Essenz des Vampirs bannte, die ihn einst ausgemacht hatte – in erster Linie seinen nimmermüden Blutdurst, aber auch seine Anfälligkeit gegenüber dem Sonnenlicht.
Damit wurde der unscheinbare Kerzenrest zu einer Art magischem Gefängnis für eine Vielzahl von Viscos früheren Untugenden, seiner finsteren Begierden und Sünden.
Und natürlich seiner ehemaligen Unsterblichkeit.
Bei solchen Gelegenheiten fragte sich Visco jedoch stets, ob sein vampirisches Unleben außerhalb des Zugriffs der Zeit überhaupt echte Unsterblichkeit gewesen war: Ein klassisch-trivialer Pflock im langsam, nur allzu selten schlagenden Herzen, der forsche Einsatz einer Fackel, ein entschlossener Hieb mit Axt oder Schwert, der ihm den Kopf vom Hals trennte, oder das Aufziehen eines Vorhangs zur falschen Zeit hätten damals schließlich
Weitere Kostenlose Bücher