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Der Preis des Lebens

Der Preis des Lebens

Titel: Der Preis des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Endres
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jederzeit das Ende für ihn bedeutet. Vielleicht genügte es aber schon, dem Zahn der Zeit ein Schnippchen zu schlagen, um als unsterblich zu gelten.
Almacya hatte Visco damals recht schnell darüber aufgeklärt, dass Vampire sehr wohl ein schlagendes Herz hatten – und damit Lebenszeit, die verstrich. Allerdings schlug ihr von Leben und Tod gelöstes Herz in der Finsternis so langsam und selten, dass es tatsächlich der Unsterblichkeit glich, die von romantischen Dichtern in Büchern und Bühnenstücken gerne als Aufhänger für große Dramen verwendet wurde. Kein Vampir wurde sichtlich älter oder starb gar an Altersschwäche.
Visco DeRául schon. Dafür hatte er sich entschieden.
Seufz. Wenigstens besaß er trotz seiner Rückkehr auf die Seite von Leben und Tod nach wie vor seine Selbstheilungskräfte, die Krankheiten und die meisten Gifte abwehrten und Wunden oder Knochenbrüche nach wie vor schneller verheilen ließen.
Dass darüber hinaus sein Appetit zurückgekehrt war und er wieder Freude am Essen hatte, war in Viscos Augen ebenfalls keineswegs ein Nachteil. Immer wenn er ein gutes Mahl zu sich nahm oder ein erlesener Tropfen Wein seinem Gaumen schmeichelte, wurde der geläuterte Vampir erneut daran erinnert, wie schön die kleinen Freuden des echten Lebens sein konnten – erst recht, da der Alkohol, egal in welch rauen Mengen genossen, ihm keinen Kater bescheren konnte und von seinem Körper binnen der ersten halben Stunde wie jedes andere Gift neutralisiert wurde.
Auch sein zurückgekehrtes Bedürfnis nach normalem, natürlichem Schlaf in der Nacht war weit angenehmer, als von Sonnenauf- bis -untergang in einem muffigen Keller oder abgedunkelten Zimmer zu hocken und schon allein das Aufziehen der Vorhänge zu fürchten. Nun genügten fünf, sechs Stunden Schlaf irgendwann im Verlauf der Nacht, und Visco fühlte sich munter und erholt, bereit, zur Not auch einen ganzen Tag unter dem grinsenden Antlitz der früher tödlich brennenden Sonne zu wandeln. Und dass er die Frauen, die er des Nächtens mit in sein Bett nahm, am nächsten Morgen noch einmal lebendig zu Gesicht bekam und sah, wie die Morgensonne ihre verletzliche Schönheit betonte, hatte ebenfalls seine Vorteile – und wenn es nur ein süßes zweites Frühstück kurz nach Sonnenaufgang war.
Visco schnaubte wehmütig, als er an Narija dachte.
Die zartbitteren Erinnerungen an die gemeinsamen Stunden mit der jungen Dorfschönheit waren nach wie vor äußerst lebendig – und ungewohnt schmerzhaft. Seit Almacya hatte er die Sehnsucht nach einer ganz bestimmten Frau nicht mehr so gespürt, war der Nachklang einer Frauenstimme solch ein bitteres Echo für ihn gewesen. Allerdings war sich Visco darüber im Klaren, dass es in Wahrheit nicht Narija war, der er da hinterher trauerte. Es war das, wofür sie stand – ein gefestigtes Leben voller Regelmäßigkeiten und Ruhe.
Normalität. Ein Leben, von dem Visco wusste, dass er es tief in sich immer begehren, aber letzen Endes niemals ertragen könnte.
Seufzend schloss der Vampir die Augen und öffnete sich seinen Sinnen, um der Dunkelheit dieser Gedanken zu entfliehen.
Viscos Wahrnehmung blieb von der vorherrschenden Düsternis gänzlich unbeeindruckt. Der Vampir hörte selbst das rasselnde Schnarchen aus dem Zimmer rechts von ihm so deutlich und laut, als läge der Schläfer auf seinem eigenen Bett hier in der engen Kammer. Fast noch schlimmer waren indessen die vergnügten Quiek- und Grunzlaute eines Kaufmannes und seiner Dirne, die am Abend in der warmen Schankstube des Salamanders, noch, am Tisch neben Visco gezecht und nun das Zimmer zu seiner Linken in Beschlag genommen hatten, wo sie das alte Bett quälten.
Viscos Seufzen zog sich in die Länge, als auch seine dergestalt geschmeichelten Sinne am Ende viel zu schnell vor seinen dunklen Gedanken kapitulierten.
Betrübt musste der geläuterte Vampir sich einmal mehr eingestehen, dass zu beiden Seiten seines wiedergewonnenen Lebens die Normalität des Alltags wartete – und er ganz gewiss kein Teil davon war, obwohl er eben hier in Namask seine fragwürdige Unsterblichkeit gegen die Überreste seiner Menschlichkeit eingetauscht hatte und aus der Finsternis zurück gekehrt war.
Dennoch saß er nun hier, düster vor sich hin brütend, umfangen allein von Traurigkeit, Frustration, Einsamkeit, Schwärze und schlechten Gedanken, anstatt in der Welt süßer Träume oder den Armen einer Frau zu liegen.
Verdammt. Visco fuhr sich wie nach einem langen, wenig

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