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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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eine prächtige Szene von einer jungen Frau in einem weißen Kleid, die lesend in einem sonnendurchfluteten, grünen Garten saß. Ein ähnliches Bild hatte er vor etwa einem Monat in der Fernsehsendung Antiques Roadshow gesehen, wo es auf eine astronomische Summe geschätzt worden war.
    Erst als Mrs Coyle sich das Kleid glattstrich, bevor sie sich ihm gegenüber aufs Sofa setzte, fiel ihm auf, wie jung sie aussah. Am Telefon hatte sie sich überrascht gezeigt, dass er den Fall nach über einem Jahr wieder aufgenommen hatte, er hatte jedoch behauptet, dass das Routine wäre. Als Ziel der perversen Aufmerksamkeit des Priesters hatte er sie eigentlich schon in dem Moment ausgeschlossen, als sie ihm die Tür geöffnet hatte. Jetzt war er sich nicht mehr ganz so sicher. Wenn man sich die selbstbewusste Haltung, das gekonnte Make-up und die perfekt gestylten Haare wegdachte, hätte ihr Gesicht wahrscheinlich als das einer Achtzehnjährigen durchgehen können. Als sie ihm dann erzählte, dass sie an besagtem Abend ziemlich früh von einer Kostümparty nach Hause gekommen war, spitzte er die Ohren.
    »Ich war als Prostituierte verkleidet«, sagte sie. »Das Thema der Party war Pfarrer und Flittchen. Daithi, mein Mann, ist als Pfarrer gegangen.«
    »Pfarrer und Flittchen?«, fragte Mulcahy nachdenklich.
    »Ein klassisches englisches Thema. Wir haben das in unserer Zeit am Trinity College öfter gemacht, und einer von unseren Freunden hatte beschlossen, das mal wiederaufleben zu lassen. Die Jungs haben sich als Priester verkleidet, und die Mädchen als, na ja, Nutten, könnte man wohl sagen. Aber Daithi hat sich verspätet, weil er noch eine Operation hatte – er musste irgendeinen Notfall behandeln –, also bin ich allein zu der Party gefahren und wollte ihn dort treffen.«
    Sie hatte Mulcahy schon erzählt, dass ihr Mann Chirurg war, was den Wohlstand zu einem gewissen Teil erklärte, trotzdem konnte er sich nicht vorstellen, wie man durchs Aufschneiden von Patienten so einen Reichtum anhäufen konnte.
    »Ich war jedenfalls auf der Party, als einer von Daithis Assistenzärzten anrief und mir sagte, dass es Komplikationen gäbe und mein Mann gar nicht kommen könnte. Allein habe ich es da einfach nicht ausgehalten.« Sie schwieg einen Moment und biss sich betreten auf die Unterlippe. »Ich muss wohl ein bisschen viel Champagner getrunken haben. Also, das hatte ich auf jeden Fall, denn normalerweise wäre ich direkt in ein Taxi gestiegen. Besonders in dem Outfit – ich hatte allerdings eine Jacke übergezogen. Aber aus irgendeinem Grund bin ich in eine Luas gestiegen. Die Straßenbahn war etwas Neues für mich, und ich wusste, dass hier gleich an der Ecke eine Haltestelle ist, da wollte ich sie mal ausprobieren und … Das war echt saublöd von mir, oder?«
    Mulcahy wollte Mrs Coyle gerade versichern, dass auch Personen, die ein öffentliches Verkehrsmittel benutzten, ebenso viel Recht auf eine sichere Heimfahrt hatten wie alle anderen, aber sie erzählte sofort weiter, erklärte, dass sie »ein bisschen müde« gewesen wäre, ihre Haltestelle verpasst hätte, aber noch rechtzeitig aufgewacht wäre, um bei der nächsten auszusteigen und sich von dort zu Fuß auf den Weg nach Hause zu machen.
    »Ich war ganz froh, dass ich ein bisschen frische Luft schnappen konnte. Sogar so sehr, dass ich mir die Gelegenheit entgehen ließ, mit einem Taxi nach Hause zu fahren, unglaublich, oder? Gott, was hab ich hinterher mit mir selbst geschimpft, dass ich es nicht genommen habe«, seufzte sie.
    »Ein Taxi?«, fragte Mulcahy. »In Ihrer Aussage stand nichts von einem Taxi.«
    »Nein, also, natürlich nicht. Ich habe es ja, wie gesagt, nicht genommen. Ich habe dem Fahrer gesagt, dass mir die frische Luft guttut und es sowieso nur noch ein paar hundert Meter sind.«
    »Was meinen Sie, wenn Sie sagen, ›Ich habe dem Fahrer gesagt‹? Wollen Sie sagen, dass ein Taxifahrer Ihnen angeboten hat, Sie mitzunehmen?«
    Es war nur ein kleines Detail, aber eins, bei dem bei Mulcahy die Alarmglocken läuteten. Taxifahrern war es nicht erlaubt, Fahrgäste anzuwerben, und jeder, der sich dabei erwischen ließ, riskierte den Verlust seiner Lizenz.
    »Na ja, jetzt, wo Sie es so sagen, mag es etwas ungewöhnlich gewesen sein«, erwiderte sie, und er sah ein leichtes, alarmiertes Flackern in ihren Augen. »Aber als er neben mir anhielt, hat das Schild auf dem Dach geleuchtet, also habe ich mir nichts dabei gedacht. Ich habe das Angebot nur dankend abgelehnt

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