Der Priester
stattgefunden, und es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass es sich nicht um denselben Täter handelt.«
Egal wie, irgendwie musste er sie beruhigen.
»Nein«, sagte sie. »Sie verstehen nicht. Er muss es gewesen sein.«
Er trat zurück. Sie sagte das aus tiefster Überzeugung. »Wie kommen Sie darauf?«
»Als ich ein paar Tage später die Kostüme zum Verleih zurückbrachte, haben die ein Riesentheater gemacht, weil das Kruzifix von Daithis Pfarrerkostüm fehlte. Das Kreuz . Sie wollten die absurde Summe von fünfzig Euro für den Ersatz. Erst dachte ich, sie hätten es selbst verbummelt, schließlich hatte Daithi sein Kostüm nicht einmal anprobiert. Aber dann ist mir wieder eingefallen, dass wir uns die Kostüme zusammen angesehen haben. Und zwar an dem Abend, als wir sie abgeholt hatten. Und ich erinnere mich noch ganz genau an das Kreuz – so ein großes, billiges, altes messingartiges Ding. Also hab ich gezahlt und gedacht, dass es irgendwann schon wieder irgendwo auftaucht. Aber das ist es nicht. Was, wenn ich es an dem Abend selbst getragen habe? Ganz spontan als einen Witz? Sie wissen schon, zum Flittchenoutfit. Und hinterher einfach nicht mehr dran gedacht habe? Wegen des Schocks oder so. Diesen Zusammenhang hatte ich noch gar nicht gesehen. Na ja, sicher kann ich das natürlich nicht sagen, aber auf den Gedanken bin ich bisher überhaupt nicht gekommen.«
Als er wieder in seinem Wagen saß, wartete Mulcahy, bis sein Herz zu klopfen aufhörte, während er überlegte, was zum Teufel als Nächstes zu tun war. Er hatte sein Bestes getan, um Caroline Coyle zu beruhigen, musste sie dann aber sich selbst überlassen. Er war jedoch tief erschüttert von dem, was sie gesagt hatte: Das hatte er nicht erwartet. Aber war das nicht doch alles etwas zu einfach? Er beschloss, erst einmal auf die Bremse zu treten und sich alles in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Mrs Coyle war sich selbst mit dem Kreuz nicht hundertprozentig sicher gewesen. Sie hatte zugegeben, dass es ihr jetzt erst aufgefallen sei. Da hatte er schon weitaus seltsamere Eingebungen miterlebt – Menschen, die etwas im Fernsehen gesehen oder in der Zeitung gelesen hatten und plötzlich davon überzeugt waren, dass ihnen das Gleiche widerfahren war. Mit solchen Vorkommnissen schlugen sie sich im Hinweis-Team am Harcourt Square den ganzen Tag herum. Niemand wusste besser als er, dass einige Menschen dazu fähig waren, fremde Erlebnisse zu adaptieren und in ihre eigene Lebensgeschichte einzubauen. Trotzdem war es immer wieder erschreckend, wenn man so einen Fall hautnah vor sich hatte – falls es denn tatsächlich zutraf? Trotzdem kam er zu dem Schluss, dass es sich lohnen könnte, in diese Richtung weiter zu ermitteln. Ganz nüchtern und sorgfältig. Sobald er wieder im Einsatzzentrum war, musste er Brogan davon überzeugen, dass sie jemanden darauf ansetzen sollte. Er wusste aber auch, dass er behutsam vorgehen musste. Seit er den Scully-Fall für Healy geprüft hatte, reagierte sie ziemlich gereizt auf ihn und seine Vorschläge und fände es gar nicht komisch, wenn er sich einfach vor sie stellte und das nächste Kaninchen aus dem Zylinder zog.
Aus einer gewissen Distanz sah er jetzt, dass es ein Fehler gewesen war, sich Sergeant Brennans Geschwätz zu Kopf steigen zu lassen. Selbst wenn Mrs Coyle in der Nacht von einem Taxifahrer angesprochen worden war, selbst wenn es dieser Rinn gewesen sein sollte, hieß das noch lange nicht, dass er auch der Angreifer war. Und der Priester hatte es auf Mädchen im Teenageralter abgesehen. Außerdem fuhr er einen Lieferwagen, kein Taxi. Plötzlich kam ihm wieder Grainne Mullins in den Sinn. Hatte die nicht auch gesagt, dass sie kurz vor dem Überfall aus einem Taxi gestiegen war? Aber da war der Taxifahrer schon weg. Er hatte sie etwas früher abgesetzt, weil er tanken musste. War das vielleicht ein Trick gewesen? Hatte der Fahrer irgendwo geparkt und sie dann verfolgt? Herrgott, das alles war verdammt vage. Trotzdem sollte er besser ins Einsatzzentrum zurückfahren und Brogan das Ganze vorlegen. Auf die Art überschritt er jedenfalls keine Grenze, und wenn sie wollte, konnte er es weiterverfolgen. Und falls etwas dabei herauskam, sollte sie ruhig die Anerkennung dafür bekommen.
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Siobhans vage Befürchtungen, dass eine wichtigere Story auftauchen und den Priester von den Titelseiten verdrängen würde, bewahrheiteten sich nicht. Sie hatte mehr Arbeit denn je. Selbst ihre beschämende
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