Der Priester
Auseinandersetzung mit Vincent Bishop im Marco Pierre White’s hatte ein paar positive Nachwirkungen gehabt. Vor allem natürlich, dass Bishops Leidenschaft schneller abgekühlt war als ein Flitzer in einem Schneesturm. Eine Szene zu machen war für ihn absolut unverzeihlich. Das hatte er ihr ganz deutlich zu verstehen gegeben – trotz der sofortigen, chaotischen Entschuldigung, in der sie ihr Verhalten auf einen Kurzschluss, Stress, Überarbeitung und praktisch alles andere geschoben hatte, was ihr sonst noch eingefallen war. Sie hatte den größten Teil der Flasche St. Emilion Grand Cru in sich hineingeschüttet, die er zu dem medium gebratenen Rib-Eye-Steak bestellt hatte, das unangerührt auf seinem Teller liegen blieb. Und seitdem hatte sie nichts mehr von ihm gehört, was ihr allerdings sehr gelegen kam.
Aber es gab noch weitere Vorteile. Wie bei den Kollegen, die Zeuge ihres Auftritts geworden waren, nicht anders zu erwarten, waren in der Irish Independent , der Mail und der Sun ein paar höhnische Kommentare erschienen: PRIESTER - ENTDECKERIN BESCHIMPFT BISHOP und Ähnliches. Keiner der Schreiber hatte allerdings eine Ahnung, worum es bei dem Streit gegangen war, und da Bishop, genau wie sie selbst, es abgelehnt hatte, den Vorfall zu kommentieren, verschwand der Tratsch ebenso schnell, wie er aufgekommen war. Es war jedoch das erste Mal, dass sie in den Klatschkolumnen auftauchte, und das konnte man als weiteren Hinweis darauf interpretieren, dass sie den Sprung in die höheren Regionen der Medienwelt geschafft hatte. Heffernans Entschlossenheit, ihr die Lohnerhöhung zu gewähren, hatte die Geschichte jedenfalls keinen Abbruch getan. Ganz im Gegenteil. Am nächsten Morgen war er zu ihr an den Schreibtisch geschlendert, hatte ihr zugeblinzelt und gemeint: »Wie ich sehe, tun Sie etwas für Ihre Medienpräsenz. Gute Show.«
Er hatte sogar mit Griffin gesprochen und ihn aufgefordert, ein paar Redaktionsassistenten für die Recherchen der Folgeartikel abzustellen. Es waren noch halbe Kinder, die absolut keine Ahnung hatten, aber wenigstens konnten sie ihr bei ein paar Recherchen helfen – besonders für einen Artikel über die schmählichen Aufklärungsquoten der Behörden bei häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch. Ihr war klar, dass das Thema viel Platz für Schlagzeilen bot, andererseits konnten die anderen Zeitungen sich das auch selbst erarbeiten. Sie brauchte dringend etwas Neues, Exklusives über den Priester.
Das bereitete ihr die größten Kopfschmerzen. Sie hatte Griffin und Heffernan nicht erzählt, dass ihre Garda-Quelle von der Sitte ausgetrocknet war. Der Informationsfluss war ins Stocken geraten. Der ganze Fall stand so sehr im Rampenlicht, dass sich keiner mehr traute, irgendetwas weiterzugeben. Und sie konnte es nicht ändern. Normalerweise hatte sie nach einiger Zeit eine gewisse Macht über einen Informanten, selbst wenn es nur die Tatsache war, dass er Geld von ihr angenommen hatte. Doch dieser Anrufer, den sie wie auf einem Silberteller serviert bekommen hatte, war verschwunden. Er war noch nicht einmal gekommen, um sich sein Geld abzuholen. Verdammt.
Andererseits konnte sie ihm kaum verübeln, dass er sich von ihr ferngehalten hatte. Nach der Veröffentlichung ihres Priester-Knüllers schien sich die gesamte Polizei in eine ausgewachsene Paranoia hineinzusteigern. Selbst der Widerling Des Consodine weigerte sich, mit ihr zu sprechen. Und wie alle anderen gab auch Mike Mulcahy ihr die Schuld. Sie hatte keine Ahnung, warum er das alles so persönlich nahm. Was hatte sie denn so Schreckliches getan? Sie war sehr vorsichtig gewesen. Sie hatte immer darauf geachtet, seinen Namen aus der Sache rauszuhalten. Wenn er ihr das nicht glaubte, konnte sie es nicht ändern. Aber es schmerzte immer noch. Besonders weil er sie auch noch über eine blöde Mailboxnachricht abgesägt hatte. Ihr nicht einmal eine Chance gegeben hatte, das zu erklären. Wenn sie jedoch eine Weile auf Distanz blieb – bis die nächste große Sache die Schlagzeilen dominierte und etwas Gras über die Sache gewachsen war –, würde er das vielleicht auch nicht mehr so eng sehen.
Das zweite Haar in der Suppe war, dass Roy Orbison nicht aufgehört hatte, ihr die Ohren vollzujaulen. Er hatte seitdem noch zweimal angerufen. Sie hatte beide Nachrichten auf dem Anrufbeantworter vorgefunden, nachdem sie spät von der Arbeit nach Hause gekommen war. Die erste ironischerweise nur ein paar Stunden, nachdem sie Bishop die
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