Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
Vom Netzwerk:
und bin weitergegangen. Sie denken doch nicht, dass er das war, oder?«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte Mulcahy schnell, weil ihm die nächste Frage bereits auf der Zunge lag. »Haben Sie zufällig den Fahrer gesehen?«
    Er sah, wie sie mit bedrückenden Gedanken kämpfte, ihre blasse, gepflegte Gesichtshaut spannte sich, wodurch sie noch mehr wie ein Kind in Erwachsenenkleidung aussah.
    »Äh, ich … ich weiß nicht. Na ja, es ist ja dunkel gewesen. Ich erinnere mich nur, dass er neben mir gehalten hat und das Beifahrerfenster offen war. Er saß ja auf der anderen Seite. Ich glaube gar nicht, dass ich überhaupt hineingesehen habe. Warum auch? Ich weiß nur, dass er mich gerufen und mir angeboten hat, mich mitzunehmen, und ich habe gesagt: ›Nein danke, es ist ein so schöner Abend‹, und …«
    Sie verstummte, während sie immer konzentrierter die Stirn runzelte. Mulcahy merkte, dass der Überfall sie tiefer verletzt hatte, als sie sich anfangs hatte anmerken lassen. Trotzdem musste er sie dazu bringen, die Situation noch einmal zu durchleben.
    »Ist er sofort weggefahren? Wissen Sie noch, was für ein Auto es war?«
    »Nein, eigentlich nicht. Nur dass er mir die Fahrt angeboten hat. Ich dachte nur daran, wie gut sich die Nachtluft im Gesicht und an den Beinen anfühlte … Ach, ich muss schrecklich betrunken gewesen sein, ohne es gemerkt zu haben. Und dann auch noch in dem albernen Outfit. Ich hätte auch gleich darum betteln können, dass mich jemand überfällt.«
    Sie stützte das Gesicht in ihre Hände, und Mulcahy dachte, dass sie weinte. Doch als sie den Kopf wieder hob und ihn ansah, sah er kein Zeichen von Tränen, nur peinliche Berührtheit.
    »Würden Sie mir erzählen, was danach passiert ist?«
    Mulcahy wusste es im Großen und Ganzen, weil er ihre Aussage gelesen hatte, doch er wollte es noch einmal hören. Sie wäre weitergegangen, ohne an irgendetwas Böses zu denken, sagte sie, die Temple Road entlang, an den großen Häusern mit den riesigen Vorgärten vorbei. Dann wäre alles sehr schnell gegangen: Der Angreifer wäre von hinten gekommen, hätte ihr einen Arm um den Hals gelegt und sie in einen der stockdunklen Gärten gezogen. Der Hausbesitzer hätte ihre Schreie gehört und wäre herausgekommen. Mrs Coyle gab zu, dass sie sich absolut nicht mehr an den anderen Mann erinnern könne, der dann noch zu Hilfe gekommen war, außer dass man ihr erzählt hatte, es handelte sich um jemanden aus der Nachbarschaft. Und nein, auch an Mr Quigley hätte sie sich nicht mehr erinnert, wenn sie ihn nicht einen Monat nach dem Überfall angerufen und sich bei ihm für ihre Rettung bedankt hätte. Es wäre ein gewaltiger Schock gewesen.
    Mulcahy lächelte mitfühlend und nahm interessiert zur Kenntnis, dass man ihr den Beruf ihres zweiten Retters offenbar nicht mitgeteilt hatte. Er würde ihn ihr jetzt auch nicht verraten, sondern überlegte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass es sich um denselben Taxifahrer handelte, der ihr angeboten hatte, sie mitzunehmen. Dann wäre es Rinn gewesen. War er ihr womöglich gefolgt?
    Mulcahy beschloss, das Gespräch zu beenden. Mrs Coyle brachte ihn zur Tür, als er fragte, ob sie sicher wäre, dass der Angreifer nichts gestohlen hätte. Oder ob ihr hinterher vielleicht aufgefallen wäre, dass doch irgendetwas fehlte. Sie schüttelte lächelnd den Kopf, fuhr sich in einer unbewussten Bewegung mit der Hand über die Brust und wirkte seltsam gedankenverloren, als sie die Tür öffnete.
    »Warum fragen Sie das?«
    »Was?«
    »Wieso wollen Sie wissen, ob etwas gefehlt hat?« Ihre Stimme zitterte, und sie sah ihn voller Angst an. »Sie denken, dass es dieser Vergewaltiger war, der Priester, der jetzt dauernd in den Nachrichten ist, stimmt’s?«
    Mulcahy war überrascht, hütete sich jedoch zuzugeben, dass er sich allein aus diesem Grund noch einmal mit dem Fall befasste. »Das ist eine von mehreren Möglichkeiten.«
    Sie nickte und hustete dann laut in ihre Hand.
    »Herrgott, er hätte mir dasantun können«, flüsterte sie. Plötzlich gaben ihre Beine nach, doch bevor sie in sich zusammensackte, fing Mulcahy sie auf. Er half ihr wieder ins Haus, wo sie sich auf einen Stuhl im Flur setzte. Sie zitterte wie Espenlaub.
    »Er hätte das getan, stimmt’s?«, fragte sie mit leichenblassem Gesicht unter ihrer Make-up-Schicht.
    »Sie sind auf jeden Fall ziemlich glimpflich davongekommen, Mrs Coyle, aber die anderen Überfälle haben erst in den letzten Tagen

Weitere Kostenlose Bücher