Der Priester
nichts zusammen. Er klopfte auf die Jackentasche und suchte noch einmal nach den Zigaretten und wurde sich so bewusst, dass er eine rauchen gehen wollte. Er sah aus dem Fenster, wo die Sonne den rot-schwarzen Giebel des Bleeding Horse Pubs beleuchtete. Nimm doch gleich noch ein Bier dazu, dachte er und sah auf die Uhr. Ist auch schon fast Mittag. Er fischte sein Handy aus der Tasche. Wahrscheinlich dürstete Liam inzwischen auch nach einem.
Siobhan machte Fortschritte. Nach nur fünf Anrufen im St. Vincent’s Hospital hatte sie jemanden ausfindig gemacht, der am Wochenende Dienst gehabt hatte und sowohl in der Lage als auch bereit war zu bestätigen, dass eine spanische Schülerin am Sonntagmorgen in der Notaufnahme behandelt und hinterher ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Den Namen oder Einzelheiten über die Behandlung erfuhr sie natürlich nicht: die ärztliche Schweigepflicht … gerade Journalisten gegenüber. Aber die Informationen reichten, um im Garda-Revier in Dundrum anzurufen, dem Beamten dort ein paar Details an den Kopf zu werfen und abzuwarten, wie sie reagierten. Die leichte Panik in der Stimme des Beamten und die Geschwindigkeit, mit der sie zu einem wenig hilfsbereiten Sergeant durchgestellt wurde, stützten ihre Überzeugung, dass an Consodines Hinweisen etwas dran war und sie sich auf einer heißen Spur befand. Aber was für eine Spur?
Siobhan setzte sich kurz mit Paddy Griffin in Verbindung, erzählte ihm in groben Zügen, auf was sie gestoßen war, worauf er ihr erlaubte, wenn nötig ein paar Euro zu verteilen. Sie schnappte sich ihr Schlüsselbund, fuhr mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage und klappte das schwarze Faltdach ihres geliebten, wenn auch uralten Alfa Spiders herunter. Dann war sie unterwegs, raste die Rampe in Richtung des strahlend blauen Himmels hinauf und raus zu den Kais. Sie hätte ebenso gut auf Spesen ein Taxi nehmen können, was den Vorteil gehabt hätte, dass es auch die Busspuren benutzen durfte. Aber an einem so schönen, wolkenlosen Tag wie diesem hatte sie endlich mal die Gelegenheit, das Dach herunterzuklappen, die Sonne auf dem Gesicht und den Wind in den Haaren zu spüren – und all die anderen Klischees zu bedienen, die man ihr an den Kopf werfen könnte. Sie liebte sie alle. Der Verkehr schleppte sich im üblichen Anfahren-Anhalten-Rhythmus dahin, sie kannte jedoch eine Abkürzung in Ballsbridge, und bald sauste sie über die Kreuzung an der Nutley Lane und stellte den Wagen in dem hässlichen Parkhaus ab, das die Südseite des Krankenhauses verunstaltete. Beim Herausgehen überkamen sie Erinnerungen daran – war es vor fünfundzwanzig Jahren? –, wie ihr Dad in dieses Krankenhaus eingeliefert worden war. Sie hatte ihn mit ihren zehn oder elf Jahren die Betontreppe hinaufgeführt, seine Hand gehalten und beruhigende Worte gesprochen, während er sie eigentlich die ganze Zeit getröstet, ihr Mut gemacht hatte, dass sie keine Angst haben und gut auf ihre Mutter aufpassen sollte.
Damals war viel Platz zwischen den einzelnen Gebäuden gewesen, mit Grünflächen zum Spazierengehen. Auch wenn diese kantigen Bauten der Sechziger nicht schön waren, hatten sie doch etwas Gütiges, Mildtätiges ausgestrahlt, etwas, auf das man sich verlassen konnte – zumindest war es ihr damals so vorgekommen. Während der Boom-Jahre waren dann jede Menge Neu- und Anbauten hinzugekommen und hatten die Grünflächen geschluckt. Die Flure drinnen sahen aber immer noch aus wie früher, nur weniger blankpoliert, als sie sie in Erinnerung hatte. Die Wände waren bis zum Boden von zu vielen vorbeigehenden Menschen abgescheuert, die Fußböden abgewetzt. Von dem glänzenden Bohnerwachs, der unter den Turnschuhen der Krankenschwestern gequietscht hatte, als sie ihren Dad mitgenommen und auf die Station gebracht hatten, war nichts mehr zu sehen. Sie erschauderte bei dem Gedanken an ihren Dad, der sich noch kurz umgedreht und ihr zugewinkt hatte, bevor er im Gegenlicht der hinteren Tür verschwunden und immer kleiner geworden war, bis sie nur noch einen Strich gesehen hatte.
»Herrje, du wirst ja jetzt schon ein Softie, dabei bist du erst ein paar Tage da. Es dauert nicht mehr lange, bis du mit einer Handtasche rumläufst.«
Mulcahy blickte von seiner Irish Times auf und sah Detective Sergeant Liam Ford auf ihn herabgrinsen. Er war so sehr in sein Kreuzworträtsel vertieft gewesen, dass er den alten Kumpel gar nicht hatte hereinkommen sehen. Das war gar nicht so einfach bei dem über
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