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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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viel Schwung durch die Tür, dass die Sekretärin fast vom Stuhl gefallen wäre. Er eilte zum Tisch neben dem Whiteboard und nahm sich einen Fotoordner vom Stapel. Nachdem er ein paar Bilder überblättert hatte, fand er, was er suchte. Obwohl es nicht hundertprozentig zu sehen war, wusste er sofort, dass er recht hatte.
    Den Blick starr auf den Ordner gerichtet, ging er in sein Büro, schaltete die Schreibtischlampe an, nahm die Krankenhausfotos der Wunden auf Jesicas Bauch und Unterleib aus dem Ordner und breitete sie auf dem Schreibtisch aus. Er hatte die Bilder schon einmal durchgesehen, aber auch beim zweiten Mal wurde ihm dabei fast übel – dunkelblaue Blutergüsse, Brandblasen, verschmorte und zum Teil tiefschwarz versengte Haut. Doch plötzlich kamen ihm die Verbrennungen nicht mehr willkürlich vor.
    Es gab ein Muster. Auf den ersten Blick war es nicht leicht zu erkennen. Wenn man allerdings wusste, wonach man suchte, war es nicht zu übersehen. Die scheinbar zufällig angeordneten Verbrennungen schienen alle irgendwie durch rechte Winkel miteinander verbunden zu sein. Diese Linien waren zwar zum Teil unterbrochen, wenn er aber die Körperkonturen in seine Überlegungen mit einbezog, ließen sich einfache, rechtwinklige Formen erkennen. Und je stärker das heiße Metall auf die Haut gedrückt worden war, desto schwerer waren die Verbrennungen. Und nicht nur die Farben passten zu seiner Theorie, sondern auch die Breite und die Tiefe der Wunden. Er sah sich die auffälligste an, die, bei der das Fleisch um ihr Geschlechtsteil versengt war und versuchte, nicht daran zu denken, wie sie entstanden war oder welche Schmerzen Jesica dabei empfunden haben musste. Er musste mehrere Fotos ansehen, um es genau ausmachen zu können, doch dann erkannte er das breite X, das sich vom Schamhaar bis auf ihr Gesäß erstreckte.
    Einfach unglaublich. Warum war ihm das nicht schon vorher aufgefallen? Spätestens dann, als Jesica gesagt hatte, der Täter hätte wie ein Priester ausgesehen und sich auch so bekreuzigt. Darauf war er nicht gekommen, weil er an ihr Kreuz mit der Kette gedacht hatte. Was war der gängigste goldene Gegenstand, den man in Irland fand, von Schmuck einmal abgesehen? Die verdammten religiösen Insignien. Kreuze, verdammt noch mal.
    Er sah sich die Fotos noch einmal an und entdeckte nichts, was seine Überzeugung ins Wanken brachte. Lange, gerade Verbrennungen, die nach einem Drittel von kürzeren unterbrochen wurden. Die Wunden sahen genauso aus, als hätte man sie ihr mit etwas Kreuzförmigem zugefügt – und zwar mit einem großen Kreuz, mindestens fünfzehn mal fünfundzwanzig Zentimeter groß. Also noch größer als das, das der Geistliche im Pub getragen hatte. Eher vergoldet als hochwertiges Material, hatte Geraghty gesagt. Ein Kreuz, wie man es zum Beispiel in einer Sakristei oder einer Privatkapelle fand. Schlicht, billig, ohne Christusfigur. Scheiße, in diesem Land mussten Millionen davon im Umlauf sein.
    Er griff nach dem Telefon, hoffte, dass Geraghty noch etwas mehr Licht ins Dunkel bringen könnte. Die Sekretärin der Spurensicherung teilte ihm aber mit, dass Geraghty bei einem Einsatz außer Haus sei und heute nicht mehr zurückerwartet werde. Also versuchte er es bei Brogan, wurde aber wieder direkt zu ihrer Mailbox durchgestellt. Er hinterließ eine Nachricht und bat um einen Rückruf, dann legte er frustriert auf und fing mit seinen Akten noch einmal von vorn an.
    Er hatte die ganze Zeit nach den falschen Dingen gesucht.

7
    Das Garda-Revier in Blackrock war ein moderner Bau auf einer Insel zwischen der Frascati Road mit dem unablässig fließenden, vierspurigen Verkehr und der ruhigeren Temple Road. Seine Lage und die düstere Fassade – dunkler Backstein, nur durchbrochen von schwarzen Glasflächen – ließen darauf schließen, dass die Polizei die Bevölkerung lieber auf Abstand hielt, als ihr einen Ort der Hilfe und Sicherheit zu bieten. In anderen Teilen Dublins wäre das verständlich, aber Blackrock war seit jeher einer der wohlhabendsten Vororte Dublins, was das abweisende Äußere des Reviers noch unangemessener erscheinen ließ.
    Der Vernehmungsraum 4 befand sich im ersten Stock. Cassidy hatte ein Auge am Türspion. Brogan ging in dem kurzen Flur davor auf und ab.
    »Wie lange sitzt er da jetzt schon drin?«
    Cassidy drehte sich um. »So knapp eine Dreiviertelstunde.«
    »Und er ist immer noch nicht ins Schwitzen geraten?« Brogan sah auf die Uhr. Ihnen lief die Zeit davon.

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