Der Priester
Pechsträhne hält wohl noch an. Wir sind kein Wohltätigkeitsverein. Kein Tipp, keine Knete.«
»Aber ich habe Ihnen doch alles gesagt.«
»Ach, kommen Sie, Des, wenn Sie mich nur verarschen wollen, dann können wir es auch ganz lassen.«
»Nein, warten Sie.«
Sie sagte nichts, sondern wartete nur, bis er mit der Sprache herausrückte.
»Okay«, sagte er schließlich, »wie ich schon gesagt habe, kam der Befehl eindeutig von ganz oben.«
»Vom Commissioner?«
»Noch höher.«
Die Bedeutung dieser Information schoss direkt vom Hörer in ihr Gehirn.
»Was, aus dem Ministerium? Warum sollte Harmon sich da einmischen?«
Sie wartete nicht auf eine Antwort. In ihrem Kopf blinkten Gedanken wie Blitzlichter. Es musste sogar noch ernster gewesen sein, als der Informant am Telefon es angedeutet hatte. Warum sollte sich die Regierung dafür interessieren? Hatten sie Angst, dass es dem Tourismus schaden könnte oder so etwas? Aber eine Vertuschung wäre eine aberwitzige Überreaktion. Consodine riss sie aus ihren Gedanken.
»Ich habe keine Ahnung, Siobhan. Mehr weiß ich nicht. Das ist die reine Wahrheit. Ich stecke schon tief genug in der Scheiße, wenn das auch nur rauskommt. Ich setze hier meinen Job aufs Spiel. Werden Sie jetzt zahlen oder nicht?«
»Verdammt noch mal, Des, Sie haben mir immer noch nichts Interessantes erzählt. Können Sie wenigstens irgendeinen Namen nennen? Wer arbeitet an dem Fall? Wer leitet ihn?«
Consodine klang, als müsste er sich gleich übergeben, als er ein paar Leute aufzählte, die bei einer so heiklen Ermittlung eingesetzt werden könnten . Die Namen sagten ihr alle nichts, doch zumindest hatte sie etwas, dem sie nachgehen konnte.
»In Ordnung, Des«, sagte sie, als sie die Namen auf den Block gekritzelt hatte. »Wie’s aussieht, hab ich wohl gerade die Spendierhosen an. Ein Umschlag mit der üblichen Summe geht heute Abend in die Post.«
Als Siobhan das Telefon beiseitelegte, überschlugen sich ihre Gedanken. Vielleicht hatte Consodine ihr nicht alles, was er wusste, erzählt, das bedeutete aber nur, dass er Angst vor ernsthaften Repressionen hatte. Ihr Bauch sagte ihr, dass da etwas dran war. Wie groß die ganze Sache war, würde erst die Zukunft zeigen – der sie jetzt mit ein paar weiteren Anrufen Beine machen würde.
»Chef … Chef?«, meldete Cassidy sich mit barscher Dringlichkeit, die Hand über die Sprechmuschel gelegt und den Hörer vom Gesicht weggedreht. Brogan, die über einen Tisch gebeugt mit McHugh sprach, drehte sich unwillig zu ihm um.
»Was ist?«
»Sergeant Gerry Leahy aus Blackrock sagt, einer von seinen Männern glaubt, dass er den Jungen auf dem Foto kennt.« Er brauchte einen Moment, um den Namen vorzulesen, den er sich aufgeschrieben hatte. »Demnach heißt er Patrick Scully und ist Student. Er weiß sogar, wo er wohnt. Jetzt will er wissen, ob sie sofort losgehen und ihn für uns holen sollen.«
»Um Gottes willen, nein!«, sagte Brogan, der das Risiko zu groß war, dass sie die Festnahme vermasselten. »Bloß nicht. Die sollen die Füße stillhalten, wir sind sofort bei ihnen.« Aber noch während sie das sagte, hatte sie eine andere Vision im Kopf, wie die Sache aus den Fugen geraten konnte und dieser Scully spurlos verschwand, bevor sie überhaupt da waren. »Nein, warte«, sagte sie mit einem kurzen Winken. »Lass dir die Adresse geben, dann soll Leahy schnell jemanden hinschicken, der die Wohnung im Auge behält, bis wir da sind. Wir treffen sie da. So, Maura, Donagh, seid ihr bereit, wir müssen los.«
Als Mulcahy das nächste Mal von seinen Akten aufblickte, waren alle weg, das Besprechungszimmer lag verlassen vor ihm, und die Stille wurde nur gelegentlich durch das Summen einer Festplatte durchbrochen. Eine Sekretärin klopfte höflich an den Türrahmen und hielt ihm mit der anderen Hand ein Telefon entgegen.
»Ein Anruf für Inspector Brogan. Als ich dem Herrn sagte, dass Sie der Einzige sind, der hier ist, wollte er Sie sprechen.«
Mulcahy nahm ihr das Telefon ab.
»Hallo?«
Die Stimme, die durchs Telefon dröhnte, war eine aberwitzige Mischung aus Großspurigkeit und irischem Akzent – eine Stimme, anhand derer Linguisten den Effekt höherer Bildung auf die Stimmbänder aufzeigen könnten. Stimmbänder, die ansonsten wie geschaffen dafür waren, eine Nachricht von einem gottverlassenen Kaff im abgelegensten Westen Irlands zum nächsten zu brüllen. Mulcahy erkannte sie sofort als die von Dr. Frank Geraghty, dem Leiter der
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