Der Priester
lächelte über die Geste, mehr noch allerdings über die Eigentümlichkeit dieser kleinen Oase der Ordnung im ansonsten so chaotischen Zimmer. Dann entdeckte er dort auch seine Armbanduhr und griff danach. Erst sieben. Gott sei Dank! Wohin musste sie um diese Zeit so hastig? Er kannte die allgemeine, wenn auch etwas unspezifische Antwort: zur Arbeit. Und dahin sollte er sich auch begeben. Er nahm sein Handy aus der Jacke, ging ins Wohnzimmer und suchte nach einem Umschlag oder irgendetwas Ähnlichem, auf dem ihre Adresse stand. Auf dem Esstisch sah er einen Haufen Rechnungen mit vielen roten Zahlen. Die Telefonistin vom Taxiunternehmen versicherte ihm, dass in zehn Minuten ein Wagen vor der Tür stehen würde.
Punkt halb neun war er am Harcourt Square, nachdem er sich zwischendurch in seiner Wohnung geduscht, rasiert und frische Klamotten angezogen hatte. Das Taxi hatte er warten lassen, ein teures Vergnügen, aber er hatte Lust auf den kleinen Luxus. Außerdem hätte er sich ohnehin ein neues rufen müssen, weil er den Saab am Vorabend bei der Arbeit gelassen hatte. Als er wieder ins Taxi stieg, fühlte er sich lebendiger als in den letzten paar Wochen, außerdem war er voller Tatkraft. Es wurde Zeit, diesen ganzen Mist mit Brogan und Cassidy, diesem Arschloch, zu beenden, beschloss er. Jetzt zählte nur noch eins: Er musste dafür sorgen, dass der Fall abgeschlossen oder zumindest seine Mitarbeit daran beendet wurde, bevor Murtagh offiziell bekannt gab, dass die Stelle im Süden frei geworden war. Tja, und das würde er ganz bestimmt nicht dadurch erreichen, dass er irgendwo im Hinterzimmer Akten durchforstete, während die anderen draußen offenbar mit Scheuklappen herumstolperten. Er musste richtig Druck machen, ganz egal, ob denen das gefiel. Was könnte denn schlimmstenfalls passieren? Er würde ihnen so sehr auf die Nerven gehen, dass sie ihn zum Teufel jagten. Für ihn klang das nach einer klassischen Win-win-Situation.
Er traf Brogan im Flur, als sie gerade ins Meeting gehen wollte. Sie sah müde aus, etwas zerzauster als üblich – als ob der Druck ihr langsam zu schaffen machte.
»Claire, wegen gestern Abend.«
»Gestern Abend?« Sie sah ihm direkt ins Gesicht, gleichzeitig aber scheinbar durch ihn hindurch. Offenbar war sie in Gedanken woanders.
»Ja, das Theater mit Mr Cassidy …«
»Bitte, Mike, dafür habe ich wirklich keine Zeit.« Sie wollte um ihn herumgehen, doch er stellte sich ihr lächelnd in den Weg.
»Dann nehmen Sie sich welche, Claire. Denn ich hätte das Thema Religion nicht zur Sprache gebracht, wenn ich nicht der Ansicht wäre, dass das in diesem Fall eine wichtige Rolle spielt. Ich meine wirklich, dass man ernsthaft darüber nachdenken und es nicht einfach abbügeln sollte, wie Sie es gestern getan haben.«
Ihre Antwort entsprach absolut nicht dem, was er erwartet hatte. »In Ordnung, Mike, womöglich haben Sie recht. Ich habe mir die Fotos von der gerichtsmedizinischen Untersuchung gestern Nacht selbst noch einmal angesehen und muss zugeben, dass da wohl etwas dran ist. Es klingt plausibel. Wie Sie schon sagten, wahrscheinlich wäre es gut, wenn wir uns das genauer ansehen. Direkt nach dem Meeting, okay? Dann unterhalten wir uns darüber. Aber im Moment muss ich mich erst einmal um das Chaos hier kümmern.«
Sie ging durch die Tür in den Besprechungsraum. Er folgte ihr. Mit ihrem Eintritt wurde es still. Mulcahy setzte sich hinten auf einen Stuhl und überlegte, wie es zu dieser Kehrtwendung gekommen war und welches Chaos sie meinte.
»Okay, etwas Ruhe jetzt, bitte«, fing Cassidy an. »Heute Morgen gibt es keine guten Neuigkeiten. Also hört zu, Kollegen, weil wir wieder einen langen, anstrengenden Tag vor uns haben.«
Mulcahy richtete sich auf und hörte ebenso aufmerksam zu wie die Gardaí vor ihm. Cassidy saß vorne und war gekleidet wie immer, er trug denselben grauen Anzug und hatte schmierige Haare. Brogan kauerte hinter ihm am Schreibtisch und blätterte mit vergrämter Miene in einem Aktenstapel herum.
»Okay«, fuhr Cassidy fort. »Wir haben also die Spurensicherung gedrängt, in der Nacht möglichst viele Untersuchungen durchzuführen, und, Wunder über Wunder, das haben sie auch getan.«
Ein sarkastisches Murmeln erhob sich, doch Cassidy unterbrach es mit einer kurzen Geste.
»Das ist ja auch alles ganz wunderbar, aber leider auch schon die einzige gute Nachricht. Um es kurz zu machen, wir haben nichts Eindeutiges, was Scully überführen könnte –
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