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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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Gefühlsaufwallung dann, indem er nach der Weinflasche griff und sich nachschenkte. Sie streckte die Hand über den Tisch aus und legte sie auf seine. »Tut mir wirklich leid«, sagte sie. »Offenbar haben Ihre Eltern Ihnen viel bedeutet.«
    Wieder nickte er. »Sie waren toll«, sagte er. »Eine bessere Mutter hätte ich mir nicht wünschen können. Sie hat mich immer nach Strich und Faden verwöhnt. So richtig nahegegangen ist mir allerdings der Tod meines Vaters. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich zu ihm aufgeblickt habe: Der große Held in seiner Uniform – damals, als solche Dinge den Menschen noch etwas bedeuteten. Seinetwegen bin ich zur Polizei gegangen. Ich wollte einfach wie er sein.«
    »Er war auch bei der Polizei?«
    »Ja. Inspector.«
    »Genau wie Sie.«
    »Ja, wie ich.« Wieder lachte er. Dieses Mal aber ihr direkt zugewandt. »Sie müssen aufpassen, sonst kommen mir noch die Tränen.«
    »Könnte mir auch passieren«, sagte sie mit einem melodramatischen Schniefen. Sie dachte an ihren Vater, der an Krebs gestorben, langsam immer weiter dahingesiecht war, und an ihre alkoholkranke Mutter, die das alles nicht wahrhaben wollte. Nach fünfundzwanzig Jahren war der Schmerz noch immer nicht vergangen.
    »Jedenfalls«, sagte Mulcahy, setzte sich gerade hin und versuchte, die trübe Stimmung abzuschütteln, indem er seine Schultern nach hinten zog, »hat Dads Tod auch meine Ehe belastet. Nachdem Mom gestorben war, hat es schon angefangen. Ich glaube, mir war gar nicht bewusst, wie sehr ihr Tod mich mitgenommen hat, weil ich mir vor allem Sorgen um Dad gemacht habe. Und Gracia war einfach nicht in der Lage, ein paar Schritte auf mich zuzugehen. All das, in was ich mich verliebt hatte – ihre Ruhe, ihre Selbstsicherheit –, schien sie noch weiter von mir abrücken zu lassen. Am Ende hatte ich fast den Eindruck, als ob sie sich vor meinem Schmerz versteckte. Das war bestimmt nicht ihre Schuld. Ich muss wohl unmöglich gewesen sein, aber als Dad dann auch noch gestorben ist, habe ich mich plötzlich völlig allein gefühlt, und die einzige Person, die mir geblieben war und von der ich mir Trost erhofft hatte, zog sich immer weiter von mir zurück …«
    Er brach ab und hob die Hände. »Entschuldigung«, sagte er. »Ich muss langsam aufhören zu jammern.«
    »Nein«, sagte sie, entsetzt von dem Gedanken, dass er aufhören könnte zu erzählen. »Ich meine, bitte reden Sie weiter.«
    Er lachte schüchtern. »Viel mehr gibt’s da nicht zu erzählen. Abgesehen davon, dass ich dann eines Abends mal weg bin und mir woanders Trost gesucht habe und dass Gracia das herausbekommen hat. Damals lief dann auch die ganze Sache mit dem Aufbau des MOAC in Lissabon, und die Politmaschinerie lief auf Hochtouren, weil die Länder um die Besetzung der Schlüsselpositionen wetteiferten. Tja, ich dachte mir, damit war das Ende der Europol-Drogenfahndung in Madrid besiegelt. Und als ich dann wieder in Dublin war, um mich um die Testamentsvollstreckung und das ganze Drumherum zu kümmern, habe ich mich mit einem alten Chef getroffen und ihn gefragt, welche Möglichkeiten es gibt, nach Dublin zurückzukommen.«
    »Wieso gab es da Probleme? Ich dachte, Sie wären bloß eine Leihgabe an Europol gewesen?«
    »Schon, aber ich bin dann gewissermaßen in die Spezialisierungsfalle geraten – bei der Garda Síochána gibt es nicht viele Spitzenpositionen im geheimdienstlichen Bereich.«
    »Beim Geheimdienst, was? Das erklärt dann wenigstens, warum nichts aus Ihnen herauszubekommen ist«, erwiderte sie lachend.
    »Passen Sie bloß auf«, sagte er und winkte ironisch drohend mit dem Zeigefinger, »mit Ihrem hinterhältigen Sarkasmus.«
    Dann weigerte er sich zu gehen, bis sie ihm ein weiteres Geheimnis verraten hatte. Also erzählte sie ihm von dem Vorfall, als sie den Verteidigungsminister, den Vorgänger des aktuellen, in einem Leitartikel über einen Begleitservice versehentlich verunglimpft hatte. Die Story handelte nicht von dem Minister – er wurde nur in einem Nebensatz erwähnt –, trotzdem hatte sie wochenlang Angst gehabt, er würde sie und die Zeitung verklagen und bis aufs letzte Hemd ausnehmen. Zum Glück war es nie jemandem aufgefallen, oder zumindest war niemand deshalb vor Gericht gezogen.
    »Also funktioniert das mit der Narbe Ihres Bruders wohl tatsächlich«, sagte Mulcahy.
    Dann erzählte er ihr, dass sein ehemaliger Chef ihn ein paar Tage nach dem ersten Telefonat aus Madrid angerufen und ihm eine Stelle

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