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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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als Leiter einer neuen Garda-Einheit angeboten hätte. Dort sollten Informationen über die Drogeneinfuhr nach Europa via Irland gesammelt und koordiniert werden. Es war perfekt. Wie für ihn gemacht. Damit wäre sogar noch eine Beförderung verbunden gewesen. Superintendent Mulcahy. Dienstsitz war in Dublin. Obwohl er damals schon aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, hatte er Gracia angefleht mitzukommen, um einen Neuanfang zu machen. Aber sie wollte nicht. Er kündigte die Stelle in Madrid, arbeitete seinen Nachfolger ein und machte ein paar Wochen Urlaub bei Freunden in Valencia. Nur um vier Tage vor Antritt des Jobs in Dublin zu erfahren, dass die ganze Sache in einem Rundumschlag der Regierung zur Kostendämpfung gestrichen worden war. Er war der Kreditklemme zum Opfer gefallen. Wirklich und wahrhaftig. Er hatte zwischen Baum und Borke gehangen. Konnte weder vor noch zurück. Und wegen des Einstellungsstopps war ihm auch der Rückweg zur Drogenfahndung versperrt.
    »Herrje, da sind Sie aber ziemlich unter die Räder gekommen«, sagte Siobhan. Sie wusste allerdings selbst nur zu gut, wie plötzlich und heftig die Einschnitte der Regierung gewesen waren. Sie kannte einige Leute, die es dabei hart erwischt hatte.
    »Und Ihr ehemaliger Chef konnte nichts für Sie tun?«
    »Er hat’s versucht. Die Einheit sollte das Tüpfelchen auf dem i vor seiner Pensionierung sein. Ein paar Monate später war er weg.«
    »Und was haben Sie dann gemacht? Was machen Sie jetzt?«
    Er verzog das Gesicht, nahm die Weinflasche und schenkte sich nach.
    »Im Moment hänge ich, wie vor ein paar Jahren schon einmal, im Pool des National Bureau of Criminal Investigation. Ich bin also gewissermaßen Detective auf Abruf. Ich werde mal hierhin, mal dorthin geschickt – wie ein Aushilfslehrer.«
    »Gott, das ist aber ein ganz schöner Abstieg, oder?«
    »Eigentlich müssten die jetzt irgendetwas für mich suchen«, sagte er resigniert. »Man hat mir versprochen, dass ich die erste ›geeignete‹ Stelle bekomme, die frei wird. Aber die Spezialisierungsfalle, in die ich geraten bin, erschwert das Ganze. Und die Monate fliegen nur so dahin.«
    »Was für eine Verschwendung«, sagte sie.
    »Ach, irgendwie krieg ich das schon hin.«
    Und die Art, wie er das sagte, so pragmatisch und unbeugsam, löste etwas in ihr aus, worauf sie sich über den Tisch beugte, ihn sanft auf den Mund küsste und dachte, vielleicht wäre sie in der Lage, ihm den Trost zu spenden, nach dem er schon so lange suchte.

9
    »Du findest doch selbst raus, oder? Ich muss dringend los.«
    Er spürte den Druck ihrer weichen Lippen auf seiner Wange, aber als er die Augen geöffnet hatte, war sie schon weg. Er hob die Hand und schirmte damit das Licht ab, das durch die dünnen, ihm unbekannten Vorhänge hereinfiel, und sah gerade noch rechtzeitig zur Tür, um die weiße Bluse und ein paar marineblau bekleidete Oberschenkel aus dem Zimmer verschwinden zu sehen. Dann hörte er ihre Stimme noch einmal. »Ruf mich an«, gefolgt von ein paar fröhlichen Worten, die aber zu gedämpft und damit unverständlich waren. Und dann, ein paar Sekunden darauf, fiel die Wohnungstür ins Schloss. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte Gracias Gesicht vor seinen Augen auf wie eine fehlgezündete Erinnerung. Dann folgte die glückliche Erkenntnis: Siobhan. Er hatte nicht geträumt.
    Mulcahy rieb sich den Schlaf aus den Augen und stützte sich auf einen Ellbogen. Aus irgendeinem Grund ging ihm die Melodie eines schrecklichen Countrysongs nicht aus dem Kopf. Er sah sich im Zimmer um, während er langsam zu sich kam. Ihr Zimmer. Das Doppelbett mit der zerknitterten und angegrauten Federdecke nahm den größten Teil ein. Alle anderen Oberflächen waren mit Zeitungen, Zeitschriften oder knittrigen Kleidungsstücken bedeckt. In einem kurzen Erinnerungsfetzen fiel ihm wieder ein, wie sie mit verschmolzenen Lippen, aufeinanderprallenden Zähnen, die Hände überall am Körper des anderen, in die Wohnung gestolpert waren und sie sich – groteskerweise, atemlos – für die Unordnung entschuldigt hatte.
    Er schwang seine langen Beine aus dem Bett, blieb einen Moment lang auf dem Rand sitzen und blickte erfolglos auf sein Handgelenk, um festzustellen, wie spät es war. Wo war seine Uhr? Dann sah er seine ordentlich zusammengelegte Kleidung auf einem Stuhl, die Jacke über die Lehne gehängt, die Schuhe nebeneinander darunter. Hatte er …? Niemals. Das musste Siobhan heute Morgen gemacht haben. Er

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