Der Priester
die Hilfe, die er ihr gewähren konnte, offenbar gegen sexuelle Gefälligkeiten eingetauscht, und als sie nach ein paar Terminen nicht mehr mitspielte, hatte er den Fall in der Versenkung verschwinden lassen – zu seinem eigenen Besten. Grainne Mullins hatte sich damit abgefunden und ihr Leben weitergelebt, ohne zu wissen, dass Branigan versetzt worden war. Sie war davon ausgegangen, dass er versuchen würde, das alte Arrangement fortzusetzen, wenn sie versuchte, die Ermittlungen weiterzuverfolgen.
»Kommt mir vor, als ob das schon eine Ewigkeit her ist«, sagte sie und deutete auf das Baby in der Wiege neben sich. »Hab den Kleinen hier inzwischen dazugekriegt. Ich hatte die Wohnung grad erst neu angemietet, weil ich ja schon die beiden anderen hatte.«
Das Baby schlief mit einem Schnuller im Mund. Von den anderen beiden Kindern war nichts zu sehen. Sie führte Mulcahy ins winzige, spärlich möblierte Wohnzimmer. Ein blaues Schaumstoffsofa, ein Sessel und ein kleiner Fernseher auf einer umgedrehten Plastikbox standen zwischen den Babysachen und dem Spielzeug, das über den ganzen Fußboden verteilt war. Alles war billig, dreckig und kaputt. Wieder sah er die Narbe auf ihrer Stirn an und erschauerte bei dem Gedanken, wie ihre anderen Wunden aussehen mussten. Wie hatte sie es überhaupt geschafft, weiter im Geschäft zu bleiben?
Sie las seine Gedanken.
»Sie können sich nicht vorstellen, was manche Typen anmacht. Von ein paar von denen kann ich einen Zuschlag dafür nehmen, dass ich vor ihnen das Oberteil auszieh.« Sie schnaubte über die Dummheit der Männer. »Die meisten anderen sind meistens so zugedröhnt, wenn sie zu mir kommen, dass sie das überhaupt nicht mitkriegen.«
»Was war mit dem Mann, der Sie angegriffen hat?«, fragte Mulcahy.
»Das soll wohl ein Witz sein«, johlte sie. »Das Schwein wollte überhaupt nichts von mir. Der hat bloß ein bisschen blöd an sich rumgefummelt und mich dann zerschnitzt.«
»Hat er Ihnen die Wunden zugefügt, weil er wütend war, dass er es nicht tun konnte?«
»Woher soll ich das wissen?«, sagte sie. »Ich hatte jedenfalls mehr Angst vor seinem Messer als sonst irgendwas. Nachdem er mich zu Boden geworfen und mir die Hände gefesselt hat, hat er mich nicht mehr angerührt. War ziemlich seltsam. Er hat mir dann den BH abgeschnitten und auch ein bisschen an sich rumgefummelt. Ich hab aber gleich gemerkt, dass er nicht richtig bei der Sache war. Erst danach, als er dann an mir rumgeschnippelt hat, haben seine Augen so richtig geleuchtet. Ich hatte solche Angst, dass ich gar nichts gespürt hab. Ich hab bloß gesehen, wie das Blut da rausgequollen ist. Dann war ich völlig weggetreten. Kann mich an kaum noch was erinnern, außer dass ich schreien wollte, was ich aber nicht konnte, weil er mir einen Lappen in den Mund gestopft hatte.«
»Was ist mit diesem Lappen passiert?«, fragte Mulcahy.
Sie sah ihn an, als hätte er zwei Köpfe.
»Das ist ein Beweisstück. Vielleicht finden wir daran Spuren«, sagte er. »Also, ist hinterher denn jemand hier gewesen und hat den Tatort untersucht oder Beweise gesammelt?«
Der höhnische Blick in ihrem Gesicht verstärkte sich. »Herrgott, Sie haben ja echt keinen Schimmer, wie das hier abgeht, was? Also, der Einzige, der hier gewesen ist, war dieser Bulle, wie hieß der noch?«
»Branigan.«
»Genau. Und der hat sich, wie ich schon sagte, nur für die Schutzgebühr interessiert, die er in Naturalien kassiert hat. Als er erfahren hat, dass ich eine Professionelle bin, war die Sache gelaufen. Freiwild hat er mich genannt. Das ist immer die gleiche Scheiße.«
»Können Sie mir sagen, was Sie direkt vor dem Überfall gemacht haben?«, fragte Mulcahy, der beschlossen hatte, das Thema Branigan einen Moment zu umgehen.
»Was soll das bringen – Sie werden ihn jetzt sowieso nicht mehr schnappen, was? Und woher wollen Sie überhaupt wissen, dass es derselbe Typ war?«
»Ich weiß es nicht, allerdings wäre es mir lieber, wenn hier nur ein Verrückter rumläuft, der solche Nummern abzieht.«
»Also gut. Ich war grad nach Hause gekommen und hab meine Schlüssel gesucht. Ich kam von einem Hausbesuch in Glasthule. Von einem Stammkunden – der zahlt mir immer das Taxi nach Haus.«
»Könnte der Taxifahrer etwas gesehen haben? Hat er Sie nicht vor der Tür abgesetzt?«
»Na ja, ich bin eben ein echter Glückspilz, was? Der Fahrer sagte, dass er kaum noch Benzin im Tank hat, und darum hat er mich gefragt, ob er mich unten an der
Weitere Kostenlose Bücher