Der Priester
einmal auszuprobieren.
Brogan hatte mehrmals sehr energisch auf diesen Aspekt hingewiesen. »Mike hat vielleicht inzwischen vergessen, wie unverantwortlich die Ganoven von der Presse in diesem Land bei so einer Geschichte oft vorgehen, Sir«, hatte sie Healy vorgehalten. »Besonders die Boulevardpresse, die unter Garantie die grausigsten Details herausgreifen und bis zur Unkenntlichkeit aufbauschen wird. Das würde dazu führen, dass ein Teil der Öffentlichkeit total in Panik gerät. Außerdem besteht die Gefahr, dass Nachahmungstäter auf den Plan gerufen werden. Wir haben so schon zu wenig Leute und können uns nicht auch noch damit beschäftigen.«
Das war ein gutes Argument. Sie hatten ein paar Punkte besprochen, die sie auf jeden Fall geheim halten wollten, worauf Healy und Brogan nach unten gegangen waren und um 20.30 Uhr eine hastig einberufene Pressekonferenz gegeben hatten. Um die Uhrzeit waren natürlich nur die Spätausgaben noch nicht im Druck, aber genau das war einer der Gründe für dieses Vorgehen. Niemand könnte behaupten, dass sie nicht reagiert hatten. Es wäre interessant zu sehen, wer das Thema aufgriff. Mulcahy, der direkt nach der Pressekonferenz nach Hause gegangen war, hatte sich dort noch die Hauptnachrichtensendung auf RTE angesehen, in der nicht darüber berichtet wurde. Ein gutes Zeichen, hatte er noch gedacht, bevor er erschöpft ins Bett gefallen war.
Jetzt zog er sich einen grauen Baumwollpullover, Jeans und Turnschuhe an und wappnete sich für das Schlimmste – schließlich hatte Brogan sich extra die Mühe gemacht, ihn vorzuwarnen. Die Straßen waren menschenleer, und er wusste, dass die Läden, in denen er sich normalerweise die Irish Times und die Sunday Tribune kaufte, noch nicht geöffnet hatten. Die Tage, wo die Zeitungen nach dem Gottesdienst vor der Kirche verkauft wurden, waren zwar längst vorbei, trotzdem ging er in die Richtung, an dem imposanten, grauen Steingebäude mit einem Turm vorbei, aus dem schon das Murmeln eines Psalms durch die kühle Morgenluft drang. Und richtig, gegenüber der Kirche, gleich neben dem verrammelten Pub, war ein Zeitungsladen, der ihm noch nie aufgefallen war und der wundersamerweise zu dieser frühen Stunde schon offen zu sein schien. Drinnen wurde er von einem Jugendlichen in T-Shirt und weiten Surfer-Shorts freundlich begrüßt, der Zeitungsbündel vor die Regale mit Magazinen zog, die sich über die ganze Wand erstreckten.
»Hallo, wunderbarer Morgen«, sagte der Junge, ohne aufzublicken.
Mulcahy grunzte nur kurz, hätte sich dann aber fast verschluckt, als sein Blick auf die vor ihm ausgelegten Zeitungen fiel. Fast alle hatten die Story auf der Titelseite, wobei es aussah, als hätten sie sie in aller Eile noch in die Spätausgabe eingeschoben. Nur auf dem Sunday Herald prangte direkt unter dem Logo die riesige Schlagzeile: DER PRIESTER . Sie donnerte quer über die ganze Seite, wodurch der Untertitel, IRRER RELIGIÖSER VERGEWALTIGER MISSHANDELT MÄDCHEN , fast bescheiden wirkte. Etwas weiter unten befand sich noch die kleinere Schlagzeile SPANISCHES MILITÄR IN DUBLIN über einem kleineren Artikel mit zwei grobkörnigen Fotos von Jesica und Alfonso Mellado Salazar.
Verdammte Scheiße.
Siobhan war fast überall als Autorin angegeben, manchmal zusammen mit einem Paddy Griffin, dem Chef des Nachrichtenressorts. Der »exklusive« Aufmacher war jedoch von ihr allein. Er beschäftigte sich vorwiegend mit dem Überfall auf Jesica Salazar, hatte aber als Einleitung einen sehr plastischen Bericht vom zweiten Überfall auf Catriona Plunkett. Als Mulcahy die Zeitung durchblätterte, sah er, dass dieses Thema noch auf fünf oder sechs weiteren Seiten behandelt wurde. Auf einer sah er sogar Fotos von Catriona Plunkett und ihrer Familie sowie von den Salazars und dazu Skizzen und Illustrationen der beiden Tatorte.
Woher um alles in der Welt hatte Siobhan diese Informationen? In der kurzen Zeit? Man konnte schon nicht mehr davon reden, dass ein bisschen was durchgesickert wäre – jetzt waren alle Dämme gebrochen.
Als er weiterlas, staunte Mulcahy über die sehr überzeugend und glaubhaft klingende Mischung aus sorgfältiger Recherche und wilden Spekulationen in Siobhans Artikel – sie garnierte schauerliche Details aus den beiden Überfällen mit grausigen Mutmaßungen, die in der schockierenden Erkenntnis mündeten, dass »ein Verrückter mitten unter uns« lebte. Es war genau so, wie Brogan es prophezeit hatte. Siobhan war sogar an ein
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