Der Priester
Sie’s«, fauchte Healy. »Die Frage ist doch, wie diese Fallon das erfahren hat.«
»Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen?«
»Kennen Sie sie, Mike?«
Die Frage überraschte ihn, er wusste aber, dass er jetzt keinen Fehler machen durfte.
»Ja, ich kenne sie. Aber ich habe gewiss keine Informationen an sie weitergegeben.«
»Sind Sie sich ganz sicher?«
»Hatte ich das nicht gerade schon gesagt?«
Healy sah Brogan an und nickte ihr zu.
»Freut mich, das zu hören, Mike. Was meinen Sie? Wie sollen wir darauf reagieren?«
»Na ja, haben wir eine Ahnung, was sie wirklich weiß?«, fragte Mulcahy. »Ich meine, hat sie irgendeine konkrete Frage gestellt?«
»Sie gibt sich sehr zugeknöpft und rückt nicht damit raus, was sie weiß oder woher sie es erfahren hat. Erst dachte ich, sie fischt nur im Trüben, doch dann hat sie mir ein paar Details genannt. Sie scheint eine Menge Details zu kennen. Zumindest mehr, als sie es bei einem Mittagessen mit einem der neu hinzugezogenen Kollegen hätte erfahren können. Das meiste hatte mit Jesica Salazar zu tun.«
»Hat sie Ihnen denn gesagt, was sie wollte?«
Wieder sahen Healy und Brogan sich an.
»Ja, das hat sie, Mike«, sagte Healy und leckte sich die Lippen, als wären sie plötzlich staubtrocken. »Sie hat es ganz konkret gesagt. Sie wollte von mir ein Statement haben, warum der Justizminister und ich nicht persönlich für die Folter und beinahe tödlichen Verletzungen von Catriona Plunkett zur Verantwortung gezogen werden sollten. Schließlich hätten wir schon seit einer Woche gewusst, dass ein Verrückter namens Der Priester frei in Dublin herumläuft und weibliche Teenager überfällt. Allerdings hätten wir keinen Versuch unternommen, die Öffentlichkeit zu warnen.«
»Scheiße.«
»Das war genau mein Gedanke, Mike. Und Sie können sich absolut sicher sein, dass irgendjemand bis zum Hals drinstecken wird, sobald ich rausgekriegt habe, von wem sie das weiß.«
12
In einer kräftigen Brise glitt er mit geblähtem Segel über ruhiges, flaches Wasser auf den hellblauen Horizont zu, als der Klingelton seines Handys ihn aus dem Traum riss. Er öffnete ein Auge und sah auf das Uhrenradio neben dem Bett. Wieso riefen die schon um Viertel vor acht an? Er musste doch erst um elf zum Dienst erscheinen.
»Hallo«, sagte er und rieb sich mit dem Handrücken übers Gesicht.
»Haben Sie die Zeitungen gelesen?« Es war eine Frauenstimme, und im ersten Moment dachte er, es müsste Siobhan sein. Aber sie war es natürlich nicht.
»Was für Zeitungen? Nein, hab ich nicht. Herrje, ich hab noch geschlafen.«
»Tja, dann nehmen Sie sich lieber ein paar Minuten Zeit dafür, bevor Sie hierherkommen. Am interessantesten ist der Sunday Herald .«
Mit diesen Worten legte Brogan auf und ließ Mulcahy auf dem Bettrand sitzend zurück, wo er mit verschwommenem Blick die wirbelnden Spiralgalaxien des Schlafzimmerteppichs anstarrte und den Kopf in beide Hände stützte, als fürchtete er, er würde ihm von den Schultern kullern. Warum hatte sie das getan? Am Vorabend hatten sie noch mehrere Stunden lang gemeinsam mit Healy einen Medienplan erarbeitet und diskutiert, was und wie viel man bekannt geben sollte und welche Details man auf jeden Fall geheim halten musste. Sie waren dann zu dem Schluss gekommen, dass ihre einzige Chance im Umgang mit dem Herald darin bestand, eine Pressekonferenz zu geben, in der sie das Versäumnis, das Siobhan Fallon ihnen vorgeworfen hatte, dadurch wiedergutmachten, dass sie die Öffentlichkeit jetzt ganz dezidiert warnten. So hatte Mulcahy das zumindest intern verkauft.
Es war weniger eine politische Entscheidung als vielmehr eine pragmatische. Mit dem zweiten Überfall war es unvermeidbar geworden, dass etwas an die Presse durchsickerte. Schließlich handelte es sich um ein Mädchen aus Dublin, das schwer verletzt an einer öffentlichen Straße gefunden worden war. Dazu kam, dass die Familie außer sich war und dies auch kundtat. Es stellte sich heraus, dass Siobhan Fallon nicht die erste Reporterin war, die im Laufe des Tages bei der Pressestelle der Garda angerufen hatte. Sie war allerdings die erste gewesen, die sich nicht mit den paar unwichtigen Informationen hatte abspeisen lassen. Doch jetzt, wo sie gewissermaßen den Stift aus der Handgranate gezogen und diese auf sie geworfen hatte, konnte man nur noch mit offenen Karten spielen. Oder eben so offen, dass sich nicht jeder Irre, Kranke oder Perverse eingeladen fühlte, so etwas auch
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