Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)
Plötzlich fiel ihm ein, dass seine Mutter ihren Mantel weggegeben hatte. Er öffnete die Spange, die den seinen am Hals zusammenhielt, kroch wieder in ihre finstere Unterkunft und lauschte auf den Atem seiner Mutter. Sie schien schlecht zu schlafen, ihr Atem klang gepresst. Er tastete vorsichtig nach ihr und deckte sie dann mit seinem Mantel zu.
Als Vil wieder vor ihrer Höhle stand, überfiel ihn die Erinnerung an die Ereignisse des vergangenen Tages mit Wucht. Sie hatten seinen Vater geköpft, ermordet, in der Arena. Er spürte, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen, aber er wollte nicht weinen. » Besser, ich erkunde mal die Gegend « , murmelte er.
Die weite Kaverne lag noch in Dunkelheit, das Licht, das durch die großen, vergitterten Öffnungen sickerte, war immer noch schwach, und Vil hatte keine Ahnung, wie spät es sein mochte.
Er stolperte über ein zerbrochenes Brett, dann über irgendetwas anderes, das er im Dunkeln nicht erkennen konnte, dann wieder über ein zerbrochenes Brett. Er fragte sich, wo dieses Holz herkommen mochte. Er lief zu der nächsten Himmelspforte und blickte nach oben. Soweit er es erkennen konnte, war die Decke viele Ellen stark. Es musste harte Arbeit gewesen sein, diese Pforten hineinzuschlagen, und irgendetwas sagte ihm, dass sie nicht für die Vergessenen angelegt worden waren.
Dann stieß er, gerade unterhalb der Hütte des Eisenkönigs, auf den Bach. Es war eher ein Rinnsal, aber es erinnerte ihn daran, dass er Durst hatte. Er schöpfte mit der Hand etwas Wasser. Es war kühl, doch es hatte einen eigenartigen, metallischen Beigeschmack. Er spuckte die Hälfte wieder aus und folgte dem Plätschern des kleinen Wasserlaufs in der Hoffnung, es würde ihn zu besserem Wasser führen.
Aber je weiter er in der großen Felsenkaverne nach Süden ging – er nahm jedenfalls an, dass es Süden war –, desto mehr roch es nach verfaultem Fisch, und er fragte sich, ob er nicht besser umkehren sollte. Dann verschwand der Bach in einer pechschwarzen Höhle. Vil blieb stehen. Es drangen Geräusche aus diesem schwarzen Loch, das sich bei näherem Hinsehen als Gang entpuppte, denn weit drinnen entdeckte er einen schwachen gelblichen Lichtpunkt. Ein leises Stöhnen wehte aus der Finsternis heran. Vil drehte um.
» Was haben wir denn da? « , flüsterte eine heisere Stimme. Sie schien direkt aus dem Boden zu kommen.
Vil wich einen Schritt zurück.
» Ein Neuankömmling « , krächzte eine zweite Stimme.
Vil entdeckte, dass sie aus einer schmalen, dunklen Spalte kamen.
» Ich bin schon weg « , rief er, drehte sich um und prallte gegen eine hagere Gestalt.
» Wohin so eilig, mein Liebling? « , säuselte sie. Sie roch nach Verwesung.
» Ein Besucher, wie schön « , sagte die erste Stimme.
Vil fuhr wieder herum. Da waren zwei weitere schattenhafte Gestalten. Sie mussten aus dem Spalt gekrochen sein, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, dass sich ein Mensch freiwillig in diese enge Höhlung zwängen würde.
Seine Haare stellten sich auf, als die Fingernägel der alten Frau ihm über den Nacken strichen.
» Ich habe mich gefreut, Eure Bekanntschaft zu machen, entschuldigt mich, ich muss zu meiner Familie « , stieß er hervor.
» Es ist üblich, bei einem ersten Besuch ein Geschenk dazulassen, Schatz « , sagte die Frau.
» Was für ein schönes Hemd es trägt « , krächzte die zweite Stimme, und Vil fühlte eine knochige Hand, die seinen Arm betastete.
» Lasst mich in Ruhe « , stieß er hervor und glitt leichtfüßig zur Seite. Er hatte Fechtunterricht genossen, und er war sicher, dass der Abschaum, der sich erdreistete, ihn zu bedrohen, von dieser Kunst keine Ahnung hatte, was ihm für einen kurzen Augenblick ein Gefühl der Überlegenheit gab. Es war immer noch zu dunkel, um viel zu erkennen, und er dachte, das würde ihm einen weiteren Vorteil verschaffen.
Aber er sah auch das kurze Holzbrett nicht, das aus der Finsternis kam und ihn voll an der Stirn erwischte. Etwas knirschte laut, ihm wurde schwarz vor Augen, und er taumelte zu Boden.
» Wie dumm er ist « , krächzte die zweite Stimme, und jemand lachte.
Vil wollte aufstehen, sich verteidigen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. » Lasst mich! « , stieß er hervor und wehrte sich gegen die Hände, die begannen, ihm das Hemd über den Kopf zu ziehen.
» Ich hab es zuerst gesehen! « – » Nein, ich! « – » Aber ich habe es niedergeschlagen! «
Er hörte den Stoff reißen und war wieder so weit klar im
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