Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)

als er glaubte, sich für alle Zeiten verirrt zu haben, hörte er ein Geräusch. Es war ein unheilvolles Nagen und Schmatzen, nicht weit entfernt. Er wäre am liebsten umgekehrt, aber er ging weiter auf das Geräusch zu, durch einen langen, niedrigen Gang. Am anderen Ende fiel aus einer Kammer schwaches Licht in den Stollen.
    Vil ging weiter, den Krug wie eine Waffe in der Hand. Das Schmatzen wurde lauter. Vil spähte vorsichtig hinein. Auf der anderen Seite einer engen Kammer saß eine kahlköpfige Gestalt und nagte an etwas, das sich Vil nicht genauer ansehen wollte.
    Er holte tief Luft und trat ein. » Ich grüße Euch, Menher. «
    Die Gestalt hielt inne, blickte auf und zog sich noch ein Stück weiter in die Ecke zurück. » Wer grüßt da? Wer spricht mit mir? « , zischte sie.
    » Vil ist mein Name, Menher. Ich suche einen Weg nach draußen « , fügte er schnell hinzu.
    » Ich kenne keinen Vil. Bluthand kenne ich, Eisenfuß und Immerschlund, aber keinen Vil. «
    » Ich komme aus der Halde. «
    » Von oben also. Was willst du? Warum störst du mich? «
    » Ich suche einen Weg hinaus. Ich muss hinaus. «
    » Willst nach oben, gehst aber nach unten? Das ist verrückt, ganz verrückt! «
    » Vielleicht, Menher. Aber vielleicht wisst Ihr ja einen Weg ganz nach oben, in die Stadt. «
    » Die Stadt? Da war ich lange nicht, sehr lange, erinnere mich kaum an die Stadt. Steht sie denn noch? Bin immer nur hier unten, bei meinen Freunden. Bluthand, Eisenfuß, Immerschlund. «
    » Aber vielleicht erinnert Ihr Euch doch, wie man in die Stadt gelangt, Menher. «
    » Vielleicht, vielleicht nicht. Ich wandere nur unter den Toten, unter den Toten. Aber ja, die Stadt, es muss sie noch geben, denn sie bringen immer neue Leichen hier herunter, füttern uns, machen uns satt. «
    » Vielleicht könnt Ihr mir ja den Ort zeigen, wo sie Euch … füttern, Menher. « Er hatte längst erkannt, dass dieses unheimliche Wesen an einer menschlichen Hand nagte. Aber es war eine Männerhand, unzweifelhaft, und damit stammte sie nicht aus der Halde, denn dort hatte es zuletzt nur zwei Beisetzungen gegeben. Wahrscheinlich, so dachte Vil , stammt sie aus einer der Nekropolen.
    Er hatte sich früher, als seine Mutter ihm von diesen unterirdischen Totenstädten erzählte, immer gegruselt, nun waren sie seine größte Hoffnung.
    » Warum sollte ich dir die guten Plätze zeigen? Sie sind nicht für dich, sind für uns. Such dir eigene Tröge. «
    » Ich will nichts von Eurem Essen, Menher, ich will nur hier heraus. «
    » Aber vielleicht lügst du? Was willst du dort oben? Dort hassen sie uns, verfolgen uns, töten uns, wenn sie uns beim Fleisch erwischen. Ein unsicherer Ort und immer unsicherer, je höher du steigst. «
    » Bitte, Menher, ich würde Euch auch entlohnen « , sagte Vil und schüttelte den Krug.
    » Wasser? Ich habe genug Wasser, kann es von den Wänden lecken, immer und überall. «
    » Kein Wasser, Schnaps, Menher. «
    » Ah! Schnaps. Lange her, dass ich so etwas getrunken habe. Lass mich kosten! « Die Gestalt rückte in der Hocke ein wenig aus ihrer Ecke heraus. Sie war hager, klein, aber in ihren Augen lag Wahnsinn.
    » Nur riechen, Menher « , sagte Vil vorsichtig. Er nahm den Deckel vom Krug.
    » Ah, kann es riechen, guter Schnaps. Gut genug für Eisenfuß, Bluthand, Immerschlund. Gut genug für mich. «
    » Der Krug ist noch halb voll. Und er gehört Euch, wenn Ihr mir den Weg nach oben zeigt. «
    » Wandere nicht mit anderen. Traue ihnen nicht. Nachher betrügst du mich. Die von oben sind alle Lügner, Betrüger, Mörder. Das weiß jeder. «
    » Ich nicht. Ich kann Euch doch gar nicht betrügen, ich will doch hinaus, und nur Ihr kennt den Weg. «
    Das schien die Gestalt zu überzeugen, aber dennoch zierte sie sich eine ganze Weile, nagte gelegentlich an der Hand, die sie ängstlich an die Brust gedrückt hielt, als fürchte sie, dass Vil sie für sich haben wolle, und bequemte sich dann doch endlich aus der Ecke heraus. Sie verstaute die Hand in einer Umhängetasche, nahm den dicken Kerzenstumpen vom Boden und leuchtete Vil ins Gesicht. » Jung. Jung und zart. Folge mir, jung und zart. «
    » Mein Name ist Vil. «
    » Jung und zart. «
    Vil folgte der Gestalt und kam bald zu dem Schluss, dass das ein gefährlicher Fehler war. Dieser unheimliche Mensch führte ihn durch Stollen und Gänge, hinauf und hinab, aber wann immer er fragte, wann sie am Ziel seien, hieß es nur: » Bald, bald. «
    Er begann, kleine Markierungen in den