Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)
Stein zu ritzen, wenn er dachte, dass sein Führer es nicht merken würde. Er hatte das zu Beginn seiner Flucht schon getan, aber irgendwann damit aufgehört. Ihm war inzwischen klar, dass er den Weg zurück niemals finden würde. Ich werde einen anderen Weg finden, Tiri da rauszuholen, sprach er sich Mut zu.
Immer weiter krochen sie durch Gänge, und nach einer Zeit, die dem müder werdenden Vil wie eine Ewigkeit vorkam, entdeckte er eine seiner Markierungen wieder.
» Wir gehen im Kreis « , rief er.
» Wie? Nein, nein, immer voran, immer nach oben. Wie du es wolltest. «
» Wir waren schon einmal hier, mindestens einmal. « Wie lange war er schon unterwegs? Er hatte nicht nur die Orientierung, sondern auch sein Zeitgefühl verloren.
» Nein, nein, auf keinen Fall. Das ist die Müdigkeit. Sie verwirrt, ich kenne das, kenne das gut. Wir ruhen einen Augenblick. Da, in der Kammer. Ein sicherer, ruhiger Ort. Sicher vor Eisenfuß, Immerschlund, Bluthand. Wir ruhen, ein Weilchen nur, und dann geht es weiter nach oben, nach oben und hinaus. Nicht mehr weit, gar nicht mehr weit. «
» Ausruhen, aber nur kurz « , murmelte Vil, gähnte und setzte sich aufrecht an die Wand. Er durfte nicht einschlafen.
Dann fühlte er eine Berührung an seinem Bein. Er war doch eingeschlafen. Er schreckte hoch. Sein Führer war herangeschlichen, hockte vor ihm, blitzte ihn aus seinen blassen Augen an und hielt eine Waffe in der Hand, einen angespitzten Knochen. Vil riss den Krug hoch und wehrte den Stoß im letzten Augenblick ab. Sein Führer zischte böse, griff nach Vils Hals und holte noch einmal mit dem Knochenmesser aus.
Vil wehrte sich mit der Kraft der Verzweiflung, er riss den Krug hoch und schmetterte ihn dem anderen an den Unterkiefer. Es knirschte hässlich, und irgendwas spritzte Vil ins Gesicht. Der Verfemte kreischte, wankte in der Hocke und ließ sein Messer fallen. Vil holte noch einmal aus und schmetterte ihm den Krug mit voller Kraft ins Gesicht.
Der andere flog regelrecht ein paar Schritte nach hinten, jammerte und klappte zusammen wie ein Sack Knochen. Im schwachen Licht der Kerze sah Vil Blut und Schleim aus dem Loch laufen, das vormals ein Mund gewesen war. Er kam auf die Beine, holte noch einmal aus und merkte erst jetzt, dass der Krug zerbrochen war. Er ließ ihn fallen, griff sich das Knochenmesser und seine Kerzen und floh. Er rannte, ohne Sinn und Verstand, so gut geradeaus, wie es nur ging, verfolgt vom Fluchen und Wehklagen des Verfemten. Irgendwann wurde es leiser, dann war es ganz verstummt.
Aber Vil hastete weiter, so schnell er konnte, und hielt nur an, wenn er eine niedergebrannte Kerze gegen eine andere austauschte. Irgendwann, als es wieder einmal so weit war und er sich keuchend an eine Wand lehnte und besorgt feststellte, dass er gerade die vorletzte Kerze entzündete, bemerkte er die Veränderung. Rechts und links von ihm waren regelmäßige und schmale Vertiefungen in die Wand gehauen, aus denen ihn nun Totenschädel angrinsten, fein säuberlich nebeneinander aufgereiht. In anderen Vertiefungen hatte jemand Knochen nach ihrer Größe gestapelt. Eine Nekropole – er war auf eine Nekropole gestoßen!
Und direkt vor ihm zeigten sich die Stufen einer Treppe, die nach oben führte. Er stieg sie vorsichtig hinauf.
Vil erreichte eine Gruft mit zugemauerten Grabnischen in den Wänden. Eine steinerne Pforte hatte die Gruft einst abgeschlossen, aber sie war aufgebrochen worden. Auch einige der zugemauerten Gräber waren zerstört. Sein Führer hatte andere Namen genannt, weitere Menschenfresser, und vermutlich waren sie in dieser Grabkammer gewesen.
Er schlüpfte durch die aufgebrochene Tür und schlich weiter. Es gab weitere Treppen, einige, die nach unten, andere, die nach oben führten. Er folgte seinem Instinkt, lief dennoch in einige Sackgassen und wäre fast verzweifelt, zumal er inzwischen seine letzte Kerze angezündet hatte. Dann hörte er Stimmen.
Es waren mindestens drei, und sie sprachen leise miteinander. Drei? Bluthand, Immerschlund, Eisenfuß, schoss es ihm in den Sinn. Vil blieb mit klopfendem Herzen stehen und lauschte. Er verstand kein Wort von dem, was gesprochen wurde, aber nach und nach dämmerte ihm, dass es nicht halb so verrückt klang wie das, was der Verfemte von sich gegeben hatte. Er schlich weiter und löschte seine Kerze, als er glaubte, einen Lichtschimmer im Gang zu erkennen. Mehrere schmale Löcher waren in die Wand getrieben worden, und auf der anderen Seite
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