Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)
hielt.
Er sprang von der Mauer. Er musste die zugemauerte Pforte finden. Er versuchte, die Entfernung zum Tempel und zur Werft zu schätzen, und rief sich die Lage der vier Himmelspforten der Halde ins Gedächtnis. Dann schlich er los. Er ging davon aus, dass es hier Wachen gab, auch wenn er noch keine gesehen hatte. An der Stelle, die er berechnet hatte, stand eines der hässlichen Gebäude. Vil fand eine unverschlossene Tür. Offenbar hatten die Himmel doch ein Einsehen. Er glitt hinein.
Er war noch nie in einer Schmiede gewesen und staunte über eine Reihe von Vorrichtungen, die er nicht verstand. Da hingen Kessel in schweren Ketten von der Decke, er entdeckte Ambosse und Essen und schwere steinerne Werkbänke. Es gab auch allerlei Werkzeug, das nützlich sein konnte.
Er borgte sich einen Schmiedehammer, den er sicher brauchen würde, wenn er die Decke einschlagen wollte. Er schob den Gedanken, dass er doch gar kein Seil hatte, um hinabzugelangen, erst einmal zur Seite. Auch das würde sich hier irgendwo finden.
Aber wo war die zugemauerte Pforte? Vorsichtig nahm Vil eine Laterne von einer Werkbank. Er entzündete die Kerze darin und schloss das trübe Glas wieder. Er suchte den Boden ab, fand aber nichts. War er vielleicht im falschen Gebäude? Das musste es sein. Er fluchte leise, aber ausgiebig. Gerade als er diese Werkstatt verlassen wollte, fiel ihm etwas ins Auge, etwas, das er schon gerochen, aber ignoriert hatte. Da stand eine gusseiserne Schüssel auf einem Tisch. Ein Löffel steckte unter dem Deckel. Es roch nach kalten Bohnen. Er schlich zögernd hinüber. Sein knurrender Magen riet ihm zuzugreifen. Er öffnete den Deckel. Es war eine Art Bohnensuppe, schwer und dunkel, ein Rest, vielleicht etwas, was die Arbeiter übrig gelassen hatten. Es war ihm egal. Er nahm den Löffel und begann, die kalte Suppe in sich hineinzuschaufeln. Sie war köstlich. Für einen Augenblick war er bereit, alles um sich herum zu vergessen, doch die Welt brachte sich wieder in Erinnerung mit einer festen Stimme, die aus den Schatten hinter ihm rief: » Blitz und Donner – wen haben wir denn da? «
Vil stellte fest, dass die Bohnensuppe gewärmt noch viel besser schmeckte als kalt. Er saß an einem Tisch, das erste Mal seit vier Monaten, und brach Brot in die dampfende Schale.
» Jetzt noch einmal von vorn, mein Junge: Wie ist dein Name, und was hast du hier zu suchen? « Der Schmied saß ihm mit verschränkten Armen gegenüber. Vil war viel zu hungrig, um sich lange mit der Frage aufzuhalten, warum der Mann ihn nicht einfach davonjagte. » Vil, Herr, mein Name ist Vil « , antwortete er mit vollem Mund.
» Und deine Eltern? «
» Tot, Menher « , antwortete er vorsichtig. » Hab nur eine Schwester, und die suche ich, Herr. «
» In meiner Schmiede? «
» Nein, Herr. Sie ist aber wohl in der Nähe. Zwischen Werft und Arena, das ist alles, was ich weiß. «
» Im Katzenviertel? Wie alt ist deine Schwester, Vil? «
» Elf, Herr. «
» Bei den Himmlischen! Und da treibt sie sich im Katzenviertel herum? «
» Sie wollte nicht, Herr. Ist abgeholt worden. Aber nicht von guten Menschen, Herr. « Vil schien es, als ob der Mann ein gutes Herz hatte.
» Du könntest zur Wache gehen, Junge. Sie könnten dir helfen. «
» Da war ich schon, Herr. Die haben mich ausgelacht. «
Der Mann seufzte. » So wie du aussiehst und riechst, ist das kein Wunder. Man kann arm sein, aber das heißt doch nicht, dass man schmutzig durch die Welt gehen muss. Du solltest ein Bad nehmen, dich waschen, deine Kleider flicken. Dann werden die Wachen eher geneigt sein, dir zuzuhören. «
» Hab aber keine Seife, Herr, und auch sonst nichts. Unser Haus haben sie uns weggenommen, und auch alles, was darin war. « Auch das war nicht gelogen. Vil beschloss, auch weiterhin so dicht wie möglich an der Wahrheit zu bleiben.
» So lebst du auf der Straße? «
Er antwortete mit einem Schulterzucken, aber ihm wurde bewusst, dass es genau so war. Und ganz plötzlich tauchte die Frage auf, wohin er mit seiner Schwester eigentlich gehen wollte, wenn er sie erst einmal befreit hatte. Er hatte nichts, keinen sicheren Ort.
Er erinnerte sich dunkel an einen Onkel, der aber aus irgendeinem Grund bei seiner Mutter in Ungnade gefallen war. Er hatte den Mann nur einmal gesehen, und das war eine verschwommene Erinnerung aus seiner Kindheit. Er musste irgendwo auf der Ritterseite oder im Seeviertel wohnen. Aber konnte er dorthin? Man würde sie suchen und sicher
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