Der Prinz der Skorpione: Roman - Der Schattenprinz 3 (German Edition)
vergessen hatte.
»S ag mir, mein Junge, was hat dich dazu bewogen, mich zu verraten? War es wirklich nur wegen dieses Weibes? Ich hätte dich für klüger gehalten, nicht viel klüger, aber doch klug genug.«
Sahif antwortete nicht.
»V ielleicht ist die Ausbildung der Schatten doch nicht so gut wie ihr Ruf. Ich hatte angenommen, man würde dir dort diese unnützen Gefühle austreiben. Ich bin ein wenig enttäuscht. Also, mein Junge, sag mir, was war der Grund für deinen Verrat?«
Schon früher hatte Sahif Schwierigkeiten gehabt, seinem Vater einfach zu sagen, was er dachte, und auch jetzt fiel es ihm nicht leicht. »S hahila hat mir erzählt, meine Mutter sei durch Euch in den Tod getrieben worden, Vater.«
»U nsinn!«, polterte der Padischah. »E s war ihre eigene Mutter, eine Frau, ebenso schön und gefährlich wie ihre Tochter, die deine Mutter ermordete, weil ich sie zu einer Favoritin auserkoren hatte.«
»W arum habe ich das nie erfahren?«
»W eil das nicht deine Sache ist!«
Sahif nickte grimmig. Als er aus der Festung der Schatten nach Oramar zurückgekehrt war, hatte man ihm erzählt, dass seine Mutter gestorben war. Über die näheren Umstände hatte man ihn im Unklaren gelassen, eine Lücke, die Shahila skrupellos ausgenutzt hatte. Er hatte nicht viel Zeit gehabt, über all die verwickelten Ereignisse von Atgath nachzudenken, aber jetzt verstand er, warum Shahila ihn überhaupt erst in ihre Pläne eingespannt hatte– sie wollte ihre Mutter rächen, und er war der Sohn jener Frau, der sie in ihrem verdrehten Denken die Schuld an allem Unglück ihres Lebens gab.
Der Padischah betrachtete ihn eine Weile, dann winkte er unwirsch ab. »D ieser Junge weckt ungute Erinnerungen. Schafft ihn mir aus den Augen, ich werde später entscheiden, auf welche Weise sein Leben enden wird.«
Sie führten Sahif hinüber zum großen Gerichtsgebäude von Atgath. Es waren Oramarer und Helmonter dort, Männer aus dem Gefolge des Padischahs, den einen oder anderen kannte er sogar. Es waren Verwalter, Quartiermeister, die sich dort wohl einrichteten, um die Übernahme der Stadt vorzubereiten. Sahif fragte sich allerdings, warum sie das nicht in der Burg taten. Er wurde in den Kerker gebracht, einen Ort mit nicht vielen Zellen, aber einem Vorraum, in dem allerlei Gerätschaften verrieten, dass hier die Kunst des Verhörs in ihrer grausameren Form ausgeübt wurde. Man stieß ihn in eine Zelle hinein und schloss ab. Die Handschellen ließ man, wo sie waren. Sahif ertrug es mit einem gewissen Gleichmut. Es kam vermutlich auch gar nicht mehr darauf an, was mit ihm geschah oder was sein Vater da draußen beschloss und befahl. Shahila war auf dem Weg zur Alten Magie– das Ende der Welt stand bevor.
***
Shahila zitterten die Beine. Sie setzte sich, um sich einen kurzen Augenblick auszuruhen. Stufen, endlos viele Stufen war sie schon hinabgestiegen, und immer noch gab es weder rechts noch links eine Wand, nur diese grünlichen Laternen, die alle dreißig Schritte im Nichts schwebten und die unwirkliche Treppe in bleiches Licht tauchten. Sie blickte zurück. Die Laternen wurden kleiner und kleiner, und irgendwann verloren sie sich im Nichts. So weit war sie also schon gekommen. Sie blickte in die andere Richtung. Auch diese Reihe schien sich in der Unendlichkeit zu verlieren. Musste sie nicht irgendwann am Ziel ankommen? Oder würde diese Treppe vielleicht niemals enden? War es womöglich eine Falle, und sie würde bis ans Ende ihrer Tage immer weiter treppab schreiten? Sie stand rasch wieder auf. Sie war so nah am Ziel, da würde sie sich doch von ein paar Stufen mehr oder weniger nicht entmutigen lassen!
»S chritt für Schritt«, murmelte sie und ging weiter. Ein Echo tauchte aus dem Nichts auf. Schritt für Schritt, wisperte es und begleitete sie noch eine Weile. Shahila wartete, bis es verklungen war. Merkwürdig, dachte sie, als sie weiterging, der Klang meiner Schritte erzeugt keinen Widerhall.
»H allo?«, rief sie, und das Echo kam, hallte nach, verklang.
»F ür ein Echo muss es doch auch Wände geben«, murmelte sie. Wände geben, Wände geben, flüsterte es. Sie zog eine der Elfenbeinnadeln aus ihrem Haarknoten und warf sie mit aller Kraft ins Nichts. Die Nadel flog wirbelnd davon, bis sie jenseits des Lichtkreises verschwand. Shahila lauschte, aber es geschah nichts, nicht der leiseste Klang drang herauf. Na und?, dachte sie. So war das wohl mit den Geheimnissen, dass sie von anderen Geheimnissen geschützt
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