Der Prinz der Skorpione: Roman - Der Schattenprinz 3 (German Edition)
Die Laternenanzünder gingen bereits ihrer Arbeit nach, aber auf dem Markt war noch viel los. Gajan nahm sich vor, das Gedränge zu genießen. Das musste doch leicht sein nach den Wochen zermürbender Einsamkeit. Aber es war nicht leicht, ganz im Gegenteil. In jedem Blick las er eine Anklage, eine unberechtigte, heuchlerische Anklage dessen, was er getan hatte, hatte tun müssen. Sahen sie das nicht? Was wussten sie schon, in ihrer kleinen Stadt, mit ihren sicheren Mauern? Er hatte Kumar töten müssen, denn er war eine Gefahr gewesen, hatte versucht, ihm die Liebe seines Sohnes zu stehlen, des einzigen, der ihm geblieben war. Inzwischen war er sich fast sicher, dass der Sklave vorgehabt hatte, Hadogan zum Herzog ausrufen zu lassen– seinen Sohn, nicht ihn. Sahen diese dummen Menschen nicht, dass er also nicht anders hatte handeln können?
Jemand rempelte ihn an, und Gajan griff sofort nach dem Messer in seinem Gürtel. Im letzten Augenblick fasste er sich wieder, auch, weil der Mann eine Entschuldigung murmelte, bevor er in der Menge verschwand. Er musste aus dem Gedränge fliehen, irgendwohin, wo es ruhiger war. Wie von selbst führte ihn sein Weg Richtung Hafen. Er dachte an das Boot, in das er Kumar gesetzt hatte. Es war sicher schnell untergegangen– obwohl, gesehen hatte er es nicht. Er biss sich auf die Lippen, weil ihn plötzlich die Vision plagte, das Boot könne von einem böswilligen Wind in den Hafen von Felisan getrieben worden sein. Er schüttelte den Kopf und stapfte weiter. Wie dicht der Nebel geworden war! Er hörte ein Horn vom Hafen herauftönen. Die Westgarther verwendeten solche Hörner. Vermutlich nutzte man es, um die Schiffer vor dem Nebel zu warnen.
Gajan blieb stehen. Da war ein zweites Horn, weiter entfernt, dann ein drittes. Er ging etwas schneller. Vielleicht war es nichts, aber es war besser, dieser Sache nachzugehen, als weiter fruchtlosen Gedanken nachzuhängen. Im Hafen war der Nebel zu einer regelrechten Suppe geronnen. Gajan konnte gerade noch das schwache Glimmen des hohen Spiegelturms erkennen. Aber wieder tönte ein Horn durch den Nebel.
»W as ist das, Freund?«, fragte ihn ein Mann, der neben ihm stehen geblieben war.
Gajan wusste keine Antwort.
»V ielleicht ein Schiff in Not?«, meinte ein anderer.
Mehrere andere Menschen, die am Hafen noch ihren Geschäften nachgegangen waren, blieben ebenfalls stehen. »E s kommt von Westen, oder?«
»N ein, von Osten.«
»A uf jeden Fall von draußen, vom Meer.«
»E in Schiff in Not, ganz gewiss. Man kann ja selbst von hier das Leuchtfeuer im Turm kaum sehen.«
Gajan glaubte jedoch, dass wenigstens zwei Hörner durch den Nebel klangen, und sie kamen vom offenen Meer, soviel war klar. Für einen Moment sah er das Gesicht Kumars vor sich, der vielleicht gerade in ein Muschelhorn blies, während er in dem Boot auf den Hafen zutrieb. Er wollte kehrt machen, zurück in die Stadt, dann riss er sich jedoch zusammen. Ein Schiff in Not, das war die wahrscheinlichste Erklärung, aber er würde erst Ruhe finden, wenn er sicher wusste, dass es ein Schiff war, kein treibendes Boot. Er ging die Kaimauer entlang Richtung Westen, denn es wurde immer offensichtlicher, dass das Horn– oder die Hörner– von dort durch den Nebel schallten. Und was, wenn es ein Schiff ist, das Kumar aus dem Meer gefischt hat, zusammen mit dem Alten – und das nun mit diesen Signalen ankündigt, dass es einen traurigen Fund in die Stadt bringt? Gajan fing an zu laufen, fast zu rennen. Er musste es wissen.
***
Jamade hatte sich mit Askon unter das Achterdeck zurückgezogen, wo sie gemeinsam aßen. Sie sprachen nicht viel dabei, aber selbst dieses Schweigen gefiel ihr, denn es war nicht verlegen, es war, als wäre einfach alles Notwendige gesagt, und überhaupt, als bedürfe es zwischen ihnen keiner Worte, während sie da im Kerzenlicht saßen und kalten Stockfisch verschlangen, ohne einander aus den Augen zu lassen.
»K apitän, es kommt Nebel auf«, meldete einer der Krieger von draußen. Offenbar wagte er es nicht, ihr kleines Reich zu betreten.
»N ebel? Unmöglich«, rief Askon und stand auf.
Jamade fragte sich, was an etwas Nebel so ungewöhnlich sein sollte, und folgte dem Prinzen, als er an Deck ging. Es war dunkel geworden, und es schien wirklich, als würden sie geradewegs auf eine weiße Nebelbank zuhalten.
»W as hältst du davon, Turgal?«, fragte Askon.
Der Steuermann spuckte ins Wasser. »E s gefällt mir nicht. Der Nebel dürfte dort nicht
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