Der Prinz der Skorpione: Roman - Der Schattenprinz 3 (German Edition)
Frauenstimme. »S o hört doch auf zu schießen!«
Die Soldaten senkten entsetzt ihre Waffen, als die Flüchtlinge, die sie irrtümlich beschossen hatten, aus dem Nebel taumelten. Aber Gajan hörte hinter ihnen schwere Stiefel durch die Gasse stampfen.
»N achladen!«, rief er, weil die Soldaten einfach nur dastanden und die Verwundeten und Flüchtenden anstarrten. Schon erschütterte der Schlachtruf der Westgarther die Gasse.
»L auft!«, schrie der Sergeant, blieb aber selbst mit seinem Schwert in der Hand stehen. Die Flüchtlinge liefen schreiend davon, einige Soldaten ließen ihre Waffen fallen und folgten ihnen. Auch Gajan rannte plötzlich. Er wandte sich noch einmal um und sah den alten Kämpfer, aus mehreren Wunden blutend, zu Boden taumeln. Ein Westgarther hob die Schlachtaxt für den letzten Schlag. Gajan wandte sich ab. Sie rannten kopflos weiter, aber das war die falsche Richtung für ihn. Er bog ab. Ging es durch diese Gasse zum Hafen? Hadogan musste irgendwo da unten sein. Gajan rang um Atem. Plötzlich hörte er ein Geräusch im Nebel, eisig klar unter dem Lärm der nahen Schlacht. Es war das Klirren von Fußketten. Ihm stockte der Atem. Ein einzelner Mann, die Größe stimmte. Kumar war von den Toten auferstanden! Die Gestalt kam näher, und dann war er nah genug, dass Gajan seinen Irrtum erkannte: Es war nur ein alter Mann, der seltsam bedächtig durch die leere Gasse schritt und einen Sack, vielleicht mit seinem Silbergeschirr, hinter sich her zog. Oder waren es doch die Ketten von Kumar, der hinter dem alten Mann war und gleich aus dem Nebel treten würde?
Gajan floh vor diesem Gedanken und fand sich plötzlich am Hafen wieder. Es roch verbrannt, und grelle Feuer flackerten durch den Nebel. Was brannte da? Schiffe? Häuser? Geschütze donnerten, und irgendetwas sauste dicht an ihm vorüber und zerbarst an einer steinernen Säule in tausend Fetzen. Splitter regneten auf ihn herab. Männer brüllten, und das Klirren von Schwertern drang durch Nebel und Rauch. Gajan stolperte in diese Richtung. Vielleicht war Hadogan dort. Ein brennendes Haus zu seiner Rechten tauchte den Nebel in fahles Gelb.
Plötzlich ertönte ein Horn mit tiefem, unirdischem Klang, und dann hörte er eine laute Stimme, die Worte in einer fremden Sprache rief. Gajan blieb stehen, denn er hatte das Gefühl, dass diese Worte ihm galten. Er zögerte, lauschte, folgte ihnen. Der Nebel schien sich zu lichten. Gajan schüttelte sich, um den Kopf frei zu bekommen. Nein, diese Worte galten nicht ihm, sie beschworen etwas. Er duckte sich hinter ein paar aufgeplatzte Getreidesäcke. Da stand ein Mann, umgeben von einem Dutzend Kriegern, keine Westgarther, nein, Oramarer, die über ihn zu wachen schienen. Der Mann war halbnackt, und im Schein der Fackeln konnte Gajan erkennen, dass seine Haut über und über mit blauen Linien bedeckt war. Ein Zauberer! Und wenn diese Linien magisch waren, verrieten sie, dass er ungeheuer stark sein musste.
Der Zauberer breitete die Arme weit aus, stieß unverständliche Worte aus, und plötzlich fegte eine steife Brise durch den Hafen und vertrieb den eben noch so zäh wabernden Nebel. Die Schleier lösten sich auf, wehten davon und enthüllten ein Bild des Grauens: Überall lagen Tote, nicht nur Männer, auch Frauen, selbst Kinder. Brennende Schiffe trieben im Hafenbecken, und mittendrin ragte schwarz die Granamar aus dem Wasser, von den schlanken Schiffen der Westgarther umzingelt wie ein von Hunden in die Enge getriebener Eber. Männer versuchten, ihre hohe Bordwand zu erklimmen, und wurden abgewehrt. Soldaten standen hoch in den Wanten und schossen mit Bogen oder Armbrust auf die Angreifer und wurden selbst beschossen. Einer der Masten rauchte, als habe er eben noch gebrannt, während rund um das riesige Schiff Trümmer und treibende Leichen zeigten, dass sich seine Matrosen ihrer Haut zu wehren wussten. Die Westgarther sandten Brandpfeile und andere Geschosse aus, aber die dicken Planken der Granamar waren wohl nicht so leicht in Brand zu setzen. Gajan klammerte sich an den Gedanken, dass es noch Hoffnung gab, solange diese mächtige hölzerne Festung schwamm. Doch immer noch strömten weitere Langschiffe in das Hafenbecken, und auf den Kais wimmelte es von Kriegern. Wo waren die Soldaten des Protektors? Wo die Männer, die diesen Feind bekämpften? Sie schienen schon in die Gassen zurückgedrängt worden zu sein. Hadogan war irgendwo bei ihnen. Gajan sprang auf und stolperte davon, ihn zu
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