Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
getrocknetem Blut verklebt.
»Was ist passiert?«, keuchte sie. »Alles in Ordnung mit ihm?«
»Ihm geht’s gut. Er wollte Freitagabend nicht fressen, deswegen bin ich gleich am Samstagmorgen mit ihm zum Tierarzt gefahren. George hat sich seine Zähne mal genauer angesehen und ihn sofort operiert.« Rory warf einen Blick unter das Sweatshirt und strich mit einer zärtlichen Geste den Ärmel aus Tarvishs Augen. »Dir mussten gleich ein paar Zähne gezogen werden, nicht wahr, alter Freund?«
Tarvish sabberte, und Rory fing den Sabber sogleich mit dem Sweatshirt auf, bevor er sich wieder an Michelle wandte. »Er hat das ganze Wochenende gesabbert, deswegen sollten Sie besser die Schutzbezüge für Ihre Möbel rausholen. Sehen Sie zu, dass er sich auf nichts Beigefarbenes legt. Vielleicht wäre der Garten die beste Lösung?«
Michelle ignorierte Rorys Versuche, sie zu necken – schließlich versuchte er immer, ihr beizubringen, wie man mit einem Hund richtig umging, als wüsste sie das nicht selbst. Stattdessen streckte sie die Hand aus, um Tarvishs lange Ohren zu streicheln. Er ließ sie ohne Knurren gewähren – ein sicheres Zeichen dafür, dass er nicht er selbst war. »Aber jetzt ist alles wieder in Ordnung mit ihm?«
Als Rory ihre Sorge bemerkte, wurde seine Miene milder, und er sah von seinem neckischen Tonfall ab. »George sagte, er soll eine Weile lang nur weiches Futter zu sich nehmen. Aber er wird dafür künftig nicht mehr ganz so griesgrämig sein, weil ihm die Zähne jetzt nicht mehr so zu schaffen machen. Ab jetzt keine Kekse mehr für ihn. Auch kein Teegebäck mehr.«
»Armer Tarvish!« Bei Michelle meldete sich das schlechte Gewissen. »Ich hatte keine Ahnung, dass seine Zähne ihm solche Schmerzen bereitet haben.«
»Na ja, ich ja auch nicht. Dann sind wir eben beide nachlässige Eltern.«
Sie standen immer noch in der offenen Haustür, und eine kühle Brise wehte vom Kanal herein. Tarvish zitterte, und sofort breitete Michelle ihre Arme aus, um ihn entgegenzunehmen und mit ihm nach drinnen zu gehen.
Unbeholfen manövrierte Rory Tarvish in Michelles Arme, was gar nicht so einfach war, da sie beide einander tunlichst nicht berühren wollten und Tarvish sich – wenig hilfreich – schlapp und bleischwer hängen ließ. Als Michelle das sabbernde Bündel endlich in ihren Armen hatte, blieb Rory jedoch stehen, als sei er noch nicht bereit, Tarvish allein bei ihr zurückzulassen. In seinem Blick lag eine solche Sorge, wie Michelle sie in seiner sonst so sarkastischen Miene noch nie gesehen hatte. »Wollen Sie vielleicht hereinkommen?«, hörte sie sich dann selbst sagen. »Ich muss wissen, was ich ihm heute Abend zu fressen geben darf und welche Medikamente er braucht«, fügte sie hinzu, als Rory eintrat. Doch die Wahrheit war, dass Michelle nichts dagegen hatte, die Bearbeitung ihrer wöchentlichen Liste noch ein wenig aufzuschieben. Dies lag nicht nur daran, dass sie den ganzen Tag lang mit keiner Menschenseele gesprochen hatte. Zudem stand nämlich in dieser Woche auch noch ihr Geburtstag an, auf den sie sich nicht besonders freute. Denn an dem darauffolgenden Tag würde der unvermeidliche Ausflug in den Schoß der Familie folgen, um den Geburtstag zu feiern.
Michelle wurde am Freitag einunddreißig Jahre alt, und sie wollte sich lieber nicht ausmalen, was Harvey für diesen Tag alles plante. Wahrscheinlich etwas deutlich Theatralischeres als den wöchentlichen Blumenstrauß, den er schickte und der mit Gillian oder Kelsey nach Hause ging. Doch selbst so noch fühlte Michelle Harveys bedrohliche Gegenwart. Seit Neujahr hatte sie bereits zwei Kilo abgenommen, und das nur, weil ihr die Nerven blank lagen.
»Ich störe nicht?«, fragte Rory und kehrte zu seinem gewohnt stichelnden Tonfall zurück. »Sie sind nicht zufällig gerade von einem Wochenendtrip aus Prag zurückgekehrt und müssen noch dringend auspacken?«
»Ich habe bereits alles ausgepackt«, log Michelle. »Aber wie sieht’s denn mit Ihnen aus? Müssen Sie nicht schnell zu einer Cocktail-Soiree mit der feinen Elite Longhamptons?«
»Ich könnte, wenn ich wollte.«
»Ich war in Ihrer Wohnung«, entgegnete Michelle.
»Dann haben Sie wahrscheinlich meine Sammlung von Bratpfannen gesehen, die in ihrem Leben noch nie einen Tropfen Spülwasser gesehen haben.«
»Schon witzig, wie viele Männer eine solche Sammlung besitzen. Was aber natürlich nichts damit zu tun hat, dass Männer sich etwa vor dem Spülen drücken würden.«
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