Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
Michelle ging in ihre Küche und war sich vollkommen der Tatsache bewusst, dass Rory sich nun in ihrem Haus umsah. Bislang war er immer nur bis zur Türschwelle vorgedrungen. Sie fragte sich, was er jetzt wohl dachte und ob alles so war, wie er es sich vorgestellt hatte. Erinnerte es ihn an das Haus, das er einst mit Esther gehabt hatte? Ob er bei ihr wohl sein Laserschwert hatte aufhängen dürfen? Oder hatte sie es aus den Wohnräumen verbannt?
Hör auf damit, schalt sie sich und riss sich zusammen. Du wirst schon ganz wie Anna und erfindest irgendwelche Geschichten. Stattdessen schnappte sie sich ihre Handtasche von der Kommode und suchte darin nach dem Portemonnaie.
»Wie teuer war die Operation?«, fragte sie. »Ich gebe Ihnen die Hälfte der Kosten.«
Doch Rory winkte mit einer lässigen Geste ab. »Machen Sie sich darum keine Gedanken. Mr. Quentin hat die Rechnung bezahlt.«
»Ja, ja, klar. Lassen Sie mich raten – Sie haben die Rechnung selbst bezahlt, weil Sie denken, dass Mr. Quentin Ihnen die Wohnung überlässt, wenn Sie nett zu Tarvish sind. Ich habe Ihr Spiel durchschaut.«
Das war neuerdings eine Art Running Gag zwischen ihnen. Rory machte es einen Heidenspaß, Michelle immer wieder damit aufzuziehen, dass sie sich nur um den Hund, »der goldene Eier legte«, kümmere, weil sie noch andere Pläne für den Laden hatte. Michelle wiederum hegte ihre ganz eigenen Vermutungen, was Rorys Wohnsituation betraf, und rieb ihm unter die Nase, dass er sich auf die Weise nur die obere Wohnung sichern wolle. Die Vorhaltungen flogen zwar mit einer Leichtigkeit hin und her, doch sie besaßen alle eine Spitze.
»Wäre das mein Ziel, würde ich Tarvish dann nicht ganz zu mir nehmen?«, entgegnete Rory.
»Warum sollten Sie sich all die Arbeit machen, wenn Sie mich dazu bewegen können, die Hälfte zu übernehmen?«
»Ich hätte Tarvish ganz zu mir genommen«, entgegnete Rory überrascht. »Ich überlasse ihn Ihnen wochentags nur, damit Sie ein wenig Gesellschaft haben. Rachel sagte, Ihr Haus sei bezaubernd, doch es würde noch ein Hund fehlen, um dem Ganzen ein wenig Leben einzuhauchen. Um das Haus zu einem Zuhause zu machen.«
Während Michelle innerlich immer noch mit diesem Stich kämpfte, der sie stärker traf, als Rory sich vorstellen konnte, lächelte er – ein breites Grinsen, das seinem kantigen Gesicht ein jugendliches Aussehen verlieh. »Könnte ich vielleicht eine Tasse Tee bekommen? Da ich die ganze Zeit auf Tarvish aufgepasst habe, bin ich nicht dazu gekommen, Milch einzukaufen. Ich musste also dieses fiese, faulig schmeckende Pfefferminzzeug trinken, das man normalerweise nur Gästen anbietet.«
Michelle wollte gerade zu einem Gegenangriff ansetzen und anmerken, wie lange sein Pfefferminztee wohl schon abgelaufen war, wenn er ihn für Gäste aufsparte, doch ihre Antwort fiel anders aus als geplant. »Dieses Haus hier ist ein Zuhause. Es ist mein Zuhause. Nur, weil hier nicht alles durcheinander ist oder sich hier keine Kinder oder Hunde tummeln, heißt das nicht, dass es kein Zuhause ist.«
Rorys Lächeln erstarrte. »Wie bitte? Ich wollte gar nicht …«
»Und ich bin all die Leute so leid, die mir immer wieder erzählen wollen, dass ich Gesellschaft brauche«, fuhr Michelle fort, angestachelt von dem Stress, der sich über lange Zeit hinweg angestaut hatte, seitdem sie sich innerlich gegen die »Du wirst auch nicht jünger«-Geburtstags-Vorhaltungen ihrer Mutter wappnete. »Wenn mir der Sinn nach Gesellschaft stünde, würde ich hier einen heißen jungen Sprachstudenten einquartieren. Oder einen hauseigenen Gärtner-Schrägstrich-Masseur, ganz sicher aber nicht einen Hund, der seine Haare auf meinen Teppichen verteilt. ›Gesellschaft‹ ist etwas, was man älteren Verwandten anbietet, die das Haus nicht mehr verlassen können. Oder das, wofür Geschäftsleute zahlen!«
»Okay.« Rory hob abwehrend die Hände und schien sich ehrlich für seine Bemerkung zu schämen. »Es tut mir leid. Ich weiß manchmal nicht … wann ich aufhören muss. Das hat man mir schon mehrmals gesagt. Für gewöhnlich klingen die Sprüche in meinem Kopf besser, als wenn ich sie tatsächlich anbringe.«
Reumütig hielt Michelle inne. Die Schimpftirade darüber, dass sie keine Gesellschaft brauchte, hatte sie innerlich immer wieder geprobt, um sie ihrer Mutter an den Kopf werfen zu können. Und obwohl sie beim Einstudieren so gut geklungen hatte, beschlich Michelle nun das unbequeme Gefühl, doch ein wenig über das
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