Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
»Entschuldigung. Aber offensichtlich hat Ihnen dieses Erlebnis nicht geschadet, oder? Immerhin sind Sie die Geschäftsfrau des Jahres in Longhampton geworden!«
Anna gelang es nicht so schnell wie Rachel, ihre Fassung wiederzufinden. Stattdessen wurde sie von einer schmerzhaften Flut der Schuld übermannt angesichts all der dummen Dinge, die sie gerade gesagt hatte. Ein Rauswurf würde natürlich erklären, warum sie immer so gereizt reagierte, wenn man in einer Unterhaltung auf die Themen Universität und Bücher zu sprechen kam. Bislang hatte Anna einfach nur angenommen, dass Michelle sich freiwillig dazu entschlossen hätte, im Unternehmen ihres Vaters anzufangen. Innerlich erschauderte sie vor Scham.
Doch Michelle hatte schon ein starres Lächeln aufgesetzt und schwang sich die Tasche über die Schulter. »Mein Dad glaubt, dass ich so mein Verkaufstalent entdeckt habe. Aber was soll er auch anderes sagen, immerhin hat er mir den Job gegeben. Es war ein Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben, Rachel«, schloss sie und hielt ihr die Hand entgegen. »Sie lassen es mich wissen, wenn es mit Tarvish Probleme geben sollten, ja? Ich schicke Ihnen den Scheck für die Vermittlungsgebühr per Post.«
»Oh, für unsere Seniorenhunde verlangen wir keine Vermittlungsgebühr.«
»Nein, nein«, entgegnete Michelle. »Ich würde gerne etwas spenden.«
»Und ich hatte vor, im Laden hier eine Ecke mit Tierbüchern unter dem Motto ›Tarvishs Auswahl‹ aufzubauen«, erklärte Anna. »Da würde ich gern Romane von Michael Morpurgo, Dodie Smith und Dick King-Smith präsentieren …«
Michelle lächelte abgespannt. Dabei wurde ihr Gesicht jedoch nicht zum Strahlen gebracht, wie es ihr echtes Lächeln getan hätte, fand Anna. Es glich eher einer Art Maske, damit man ihre tatsächlichen Gedanken nicht erahnen konnte. »Gut. Was auch immer. Setz einen Wassernapf in die Ecke. Meine Damen, ich muss jetzt los.«
Und weg war sie.
Rachel sah zu Anna hinüber und verzog entschuldigend das Gesicht. »Ups. Bin ich da ins Fettnäpfchen getreten? Ich habe das Ganze zuerst für einen Scherz gehalten.«
»Ich hatte keine Ahnung.« Anna starrte auf die Tür, wo die Klingel immer noch vibrierte. »Ich wusste zwar, dass Michelle in einem Internat war, aber ich hatte keinen blassen Schimmer, dass sie von der Schule geflogen ist. Sie hat mir nie etwas davon erzählt.«
»Jeder von uns hat wohl so seinen wunden Punkt«, erwiderte Rachel. »Vielleicht ist die Sache mit ihrer Mutter schlimmer als der eigentliche Rauswurf?«
»Vielleicht«, nickte Anna. Allmählich bekam sie das Gefühl, dass Rachel ziemlich einfühlsam und scharfsinnig war. Oder war sie selbst einfach zu beschäftigt gewesen, um all das zu bemerken?
»Ich sollte jetzt wirklich gehen und meinen Sohn bei der Tagesmutter abholen.« Mit übertriebenem Widerwillen legte Rachel die Enid-Blyton-Romane wieder auf den Tisch zurück. »Aber lieber würde ich bleiben, die Bücher hier durchblättern und mich mit Ihnen über Sardinenkonserven und Kondensmilch unterhalten …«
»Schauen Sie doch einfach noch einmal vorbei, wenn Ihnen der Sinn danach steht«, schlug Anna vor. »Und bringen Sie ein paar Freundinnen mit. Wir haben genügend Stühle, wir haben Kaffee und viele, viele Bücher. Wir müssen uns auch nicht zwingend über die literarische Bedeutsamkeit der Romane unterhalten.«
»Das klingt ganz nach einem Buchclub, der meinem Geschmack entspricht«, erwiderte Rachel. Sie wedelte mit Dollys großer Tag . »Ich warne Sie. Bald werden hier die nostalgiehungrigen Mütter scharenweise einfallen!«
14
» Harry Potter und der Stein der Weisen war viel besser, als ich gedacht hatte. Nur habe ich nicht verstanden, warum er sich nicht selbst bessere Schulnoten und einen Lottogewinn gezaubert hat.«
Kelsey Maguire
A ls es morgens früher hell und die Frühlingsluft lauer wurde, fielen Michelle auf ihrer allmorgendlichen Laufroute die Anzeichen für einen frühen Sommer auf. Zwar richtete sie nicht explizit ihr Augenmerk auf die Knospen der Rosenbüsche im Park oder die überschwänglich blühenden Kirschblüten entlang des Kanals, doch sie achtete sehr wohl auf die ersten Grills, die wieder hervorgeholt wurden, und auf die ultraleichten, zusammenfaltbaren Regenschirme, die aus ihrem Laden stammten und wie Mohnblumen an der Bushaltestelle aufblühten. Dieser Anblick munterte sie auf, und sie machte sich mit einem deutlich beschwingteren Schritt auf den Rückweg.
Michelle musste auf
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