Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
noch etwas anderes, dachte Michelle. Sie war sich allerdings nicht sicher, was genau das war.
Nur wenige Zentimeter entfernt rasten Autos an ihnen vorbei und ließen den Wagen erzittern.
Michelle holte tief Luft. Sie konnte ihm nicht befehlen, sich von Becca zu trennen. Er war kein übler Kerl, sondern eben nur gedankenlos und freiheitsliebend. Und das waren zwei Eigenschaften, die auf Becca nicht zutrafen. Sie mochte einige Jahre jünger sein als er, doch in mancherlei Hinsicht war sie deutlich reifer.
»Nein«, erwiderte sie. »Ich bitte dich nur, vorsichtig zu sein. Und nett.«
»Das kriege ich hin«, erwiderte Owen. »Warum sollte ich das nicht sein?«
»Gut.« Michelle legte einen Gang ein. »Und jetzt hilf mir, diesen Alptraum von einer Geburtstagsparty zu überstehen.«
Obwohl sie auf der A3 mächtig aufs Gas gedrückt hatte, sah Michelle gleich schon beim Abbiegen auf den Parkplatz an den vielen geparkten Wagen aus dem Autohaus Nightingale, dass ihre Eltern, ihre Brüder und deren Familien alle bereits eingetroffen waren. Doch von Harveys personalisiertem Nummernschild war weit und breit nichts zu sehen, was ihr einen kurzen Moment der Erleichterung bescherte.
Sie setzte ein starres Lächeln auf für das laute »Happy Birthday«-Ständchen, das bei ihrem Eintreten erklang und dafür sorgte, dass sich in dem Kneipenrestaurant alle Köpfe zu ihnen umdrehten. Dann wurden alle in das separate Nebenzimmer geführt, das speziell reserviert worden war, um alle Nightingales samt Nachwuchs unterzubringen.
Kurz nachdem das Essen serviert worden war, setzten Michelles stressbedingte Kopfschmerzen schon ein und wurden mit den endlosen Scherzen über ihr Alter und Bens kahle Stelle auf dem Kopf sowie während der Pausen, in denen die zahlreichen Nichten und Neffen ihre neusten Partytricks vorführten, immer schlimmer. Michelle hatte sich vorsichtshalber weit genug von ihrer Mutter entfernt hingesetzt und zwischen ihrer Schwägerin Emma und ihrem Dad Platz genommen. Doch Caroles Beziehung zu ihren »lieben zusätzlichen Töchtern«, wie sie ihre Schwiegertöchter immer nannte, war so eng, dass die während des gesamten Essens quer über dem Tisch hing und zu jedem Thema, das sie diskutierten, ihre Meinung einbrachte. Jedes Mal, wenn das Thema Kinder und Familie zur Sprache kam, konnte Michelle den Seufzern und Blicken kaum ausweichen, mit denen sie dann bedacht wurde.
Sogar Emma schien dies unangenehm zu sein, sodass sie so oft wie möglich versuchte, das Gespräch auf andere Themen zu lenken.
»Michelle«, sagte sie, nachdem sie (in Michelles Fall gefühlte neun Stunden lang) alle den neuen Klavierlehrer ihres Sohnes diskutiert hatten, »du hast direkt nach der Schule zu arbeiten angefangen, nicht wahr?«
»Ähm, ja«, erwiderte Michelle und merkte, wie ihr Schutzwall beinahe automatisch hochfuhr.
»Sie war die beste Verkäuferin, die ich je hatte«, lobte ihr Dad sie sofort und sah stolz zu Michelle hinüber. »Ich wünschte, sie wäre immer noch in meinem Team.«
»Und er war der beste Lehrer, den ich haben konnte«, erwiderte Michelle. Nicht etwa, weil dies von ihr erwartet wurde, sondern weil es der Wahrheit entsprach. Sie und ihr Dad redeten nicht viel über ihre Gefühle, aber sie konnten sich stundenlang darüber unterhalten, wie sich die Betriebskosten am besten minimieren ließen. Dadurch fühlte sie sich ihrem Vater näher als ihrer Mutter, die sie immer nur mit einer einstündigen Standpauke darüber bedachte, dass alle anderen Kinder bekämen, nur sie nicht.
»Ich frage nur, weil meine Schwester gerade eine ziemlich rebellische Phase durchmacht«, erklärte Emma und wurde rot. »Man hat uns vorgewarnt, dass sie möglicherweise ihre Abschlussprüfungen nicht bestehen könnte, deswegen hatte ich mich gefragt, ob …«
»Sie könnte durchaus den Michelle-Nightingale-Weg einschlagen, von der Schule geschmissen werden, den Sommer über faul auf der Haut liegen und dann Autos verhökern«, mischte sich Michelles Bruder Ben zwei Sitze weiter ein. »Von der Nobelinternats-Abbrecherin zum Verkaufsgenie – das ist doch mal eine Karriere!«
Ben besaß eine sehr tragende Stimme. Michelle merkte, wie die Lippen ihrer Mutter leichenblass wurden und sie sich tatsächlich umschaute, ob die Kellner womöglich etwas mitbekommen hatten.
Um Himmels willen, Mum , dachte sie verärgert. Immer noch? Dies war damals ihre einzige Sorge gewesen: »Oh Michelle, was werden wohl die Leute sagen? Sie halten dich doch alle
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