Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
bimmelte.
Michelle ließ sich auf ihren Stuhl fallen und merkte, wie sich ihre Schultern verspannten.
»Harvey ist kein Typ, der ›einfach nur nett‹ sein will«, erwiderte sie auf Annas verwirrten Gesichtsausdruck hin. »Er will komplett über mich bestimmen. Jetzt, wo ich auf eigenen Beinen stehe, hat er vielleicht begriffen, dass ich nicht Papas Mädchen und so dumm bin, wie er mir immer weismachen wollte. Vielleicht hat er ja auch endlich begriffen, dass es mir mit der Scheidung ernst ist. Was keine Rolle spielt – denn er wird erst damit aufhören, wenn ich wieder in Kingston bin, und nichts, was ich tue oder sage, könnte daran etwas ändern.«
»Aber wenn du doch gar nicht zu ihm zurückgehen willst?«, fragte Anna. »Kannst du ihm das nicht einfach sagen? Oder kann dein Dad das nicht klarstellen?«
Menschen wie Harvey gab es in Annas Welt einfach nicht. Michelle schüttelte den Kopf, weil sie ihn nicht in ihre neue, schöne, glänzende Welt hineinlassen wollte. Allein nur im Laden über ihn zu reden, fühlte sich an, als würde sie die frische neue Farbe an den Regalen hinter ihr beschmutzen.
»Meine Eltern mögen ihn«, erklärte sie. »Jeder, der Harvey nicht besser kennt, mag ihn.«
»Hat er dich geschlagen?« Annas Stimme war beinahe ein Flüstern.
»Manchmal wünschte ich mir, er hätte es getan«, erwiderte Michelle.
Sie knüllte die Papiertüte vom Bäcker zusammen und warf sie gekonnt in den Mülleimer. Der exakte Wurf verlieh ihr das Gefühl, wieder mehr Kontrolle über alles zu erlangen. »Anna, ich muss ganz ehrlich sagen, dass dies das schönste Geburtstagsgeschenk ist, das ich seit Jahren bekommen habe. Vielen Dank.«
Sie stand auf, umarmte ihre Freundin und merkte dann, dass Anna – die warmherzige, mitfühlende Anna – Tränen in den Augen hatte. »Komm schon«, rief sie. »Das ist nicht nötig.«
»Warum hast du mir nichts gesagt?« Anna nahm sie noch einmal fest in den Arm. »Warum hast du mir nichts davon erzählt? Ich dachte …«
»Weil es vorbei ist. Aus und vorbei. Ich werde nicht mehr zurückgehen.« Michelle starrte über Annas Schulter hinweg. »Ich kann Dinge hinter mir lassen, okay?«
»Kannst du das?«
»Kann ich«, antwortete Michelle. »Das kann ich, und das habe ich auch.«
Das war aber nicht das Problem. Ihr Problem war vielmehr, dass dies keinem in ihrer Familie recht zu sein schien.
Owen hatte nur eine Viertelstunde Verspätung, als er am Samstagmorgen in der Swan’s Row ankam – was schon eine eindeutige Verbesserung seines sonstigen Zeitmanagements war. Dennoch führte dies dazu, dass Michelle das Gefühl nicht loswurde, zu spät zu kommen, als sie endlich auf die Autobahn auffuhren.
»Jetzt hör schon auf, alle Autos überholen zu wollen, Michelle«, rügte Owen und sah von seinem Handy auf, als sie gerade einen weiteren LKW überholte. Den ganzen Weg über hatte er eine SMS nach der anderen verschickt. »Ich habe das Gefühl, neben einem Formel-1-Pilot zu sitzen.«
»Wir kommen zu spät. Wenn wir früh genug da sind, können sie nicht ›Happy Birthday‹ anstimmen, wenn wir hereinkommen, und uns dabei anstarren.«
»Willst du nicht lieber zu spät kommen? Um möglichst wenig Zeit mit deiner ach so teuren Familie verbringen zu müssen?«
»Das ist es nicht.« Sie setzte den Blinker und überholte einen weiteren Wohnwagen. »Ich muss hinterher noch ein paar Dinge erledigen. Daheim.«
Owen hielt mit dem Tippen einer weiteren Nachricht inne und starrte sie an. »Mum macht sich Sorgen um dich, weißt du? Sie hat mich sogar schon gefragt, ob sie in letzter Zeit irgendetwas getan habe, das dich verärgert haben könnte. Weil du nie anrufst.«
Oh, das war echt stark, dachte Michelle. Owen zu benutzen – das Kind, das sie im Alter von zehn Jahren aufs Internat geschickt hatte, weil sie von Kindererziehung die Nase vollgehabt hatte –, um ihr wegen ihres kaum vorhandenen familiären Zusammengehörigkeitsgefühls ein schlechtes Gewissen einzureden! »Ich rufe nicht an, weil ich viel arbeiten muss. Wenn sie genug Arbeit hätte, würde sie gar nicht merken, dass ich nicht anrufe.«
»Sie macht sich Sorgen um dich«, wiederholte er.
»Owen, das tut sie nicht! Sie ist einfach nur sauer, weil sie mein Leben mit einem Ehemann ihrer Wahl so schön arrangiert hatte, und jetzt ist alles durcheinandergeraten. Warte noch ein halbes Jahr ab, dann bist du an der Reihe. ›Owen, wann heiratest du endlich? Owen, wann schenkst du mir Enkel? Owen, warst du in letzter
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