Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
für ein so vernünftiges Mädchen!« Ihre Mutter hatte daraufhin eine geschlagene Woche das Haus nicht mehr verlassen und sich strikt geweigert, über die Gründe von Michelles unerwarteter Heimkehr zu sprechen – so verheerend war die Last der Scham und Schande in ihren Augen. Michelle war die ganze Zeit über eigentlich recht dankbar gewesen, darüber nicht sprechen zu müssen, weil auch sie nicht über die Einzelheiten dessen, was geschehen war, hatte reden wollen. Doch mittlerweile nahm sie an, dass dies eher Carole Nightingales festem Entschluss geschuldet war, den gesamten Vorfall aus der familiären Erinnerung zu löschen, als dem Wunsch, ihr zu helfen.
»So ein Schulverweis macht sich auf dem Lebenslauf natürlich immer sehr gut«, fuhr Ben lautstark fort und schien die plötzlich vollkommen ausdruckslose Miene seiner Schwester gar nicht zu bemerken. »Hinter dem seriösen Business-Look versteckt sich offensichtlich ein Partygirl, was?«
»Halt die Klappe, Ben!«, knurrte Michelle. »Sollen wir vielleicht lieber über Haartransplantationen reden? Oder darüber, wie man eine Vasektomie wieder rückgängig machen kann?«
Ihr Vater räusperte sich unbehaglich. »Ist es nicht langsam Zeit für die … die Überraschung, Carole?«, fragte er und wedelte mit seiner Serviette.
»Was? Was habe ich denn gesagt?«, fragte Ben verwundert in die Runde.
Carole sah ihren Mann an und wackelte vorwurfvoll mit den Augenbrauen. »Nein, noch nicht, Charlie. Es sind noch nicht alle da.«
»Sind wir wohl «, entgegnete Michelle.
Noch während sie sprach, tauchten drei Kellner auf und trugen eine mit zischenden Wunderkerzen geschmückte Schokoladentorte herein. Michelle fiel sofort auf, dass sie die gleichen bei Home Sweet Home verkaufte und fragte sich unweigerlich, ob die Kerzen wohl über ihre Website bestellt worden waren.
Gleichzeitig verspürte sie den unbändigen Wunsch, wieder in die stilvolle Ruhe ihres Ladens zurückzukehren, auf ihr Sofa daheim oder sogar in den Buchladen mit einem sabbernden Tarvish und einem Rory, der ihr eine Predigt darüber hielt, wie man Hundefutter richtig zerkleinerte. Sie wäre am liebsten irgendwo anders gewesen, nur nicht hier.
»Happy Birthday to you …«, fingen die Kellner an, doch eine laute Stimme übertönte sie alle, ein wenig flach vielleicht. Michelles Mutter drehte sich mit einem triumphierenden Lächeln zu Michelle um, als habe sie gerade die größte und beste Überraschung von allen aus dem Ärmel gezogen.
Michelle zuckte zusammen. Ein großes Bund metallisch glänzender Heliumballons tauchte über den Köpfen der Kellner auf, und Carole klatschte mit unverhohlener Freude in die Hände. Ihre silbernen Armbänder klirrten, als sich eine Gestalt an den Kellnern vorbeidrängte und nach vorn trat.
Eine breite Gestalt in einem auffälligen Nadelstreifenanzug, wie nur jemand ihn tragen konnte, der sein Leben lang Al Capone und die Unterwelt zum Vorbild gehabt hatte, obwohl er in einem noblen Internat gewesen war. An der Hand, die die Ballons hielt, hing am kleinen Finger ein großer Siegelring, und an dem dazugehörigen Arm prangte eine klobige goldene Rolex, umrahmt von einem feinen goldenen Flaum, der von Zeit zu Zeit von einer sehr diskreten Frau namens Wendy in Cobham mit Wachs entfernt wurde.
Michelle konzentrierte sich auf diese Details, da sie ihm noch nicht ins Gesicht sehen wollte. Damit wollte sie lieber bis zum letzten, gerade noch höflichen Moment warten.
»Harvey!«, rief ihre Mutter laut. »Du hast es ja doch noch geschafft! Oh, die Ballons sind aber hübsch! Bella, sieh dir bloß mal diese hübschen Ballons an! Möchtest du einen davon haben?«
»Warum hat Mum Harvey eingeladen?«, fragte Michelle ihren Dad im Flüsterton und gab sich Mühe, dabei nicht vorwurfsvoll zu klingen. »Ich habe mich von ihm getrennt . Warum glaubt sie, uns mit aller Macht wieder zusammenbringen zu wollen?«
Ihrem Vater schien die Frage Unbehagen zu bereiten. »Er ist mein Chefverkäufer, Liebes. Darum hat deine Mutter ihn eingeladen. Sie will, dass wir alle Freunde sind.«
Nicht zum ersten Mal fragte sich Michelle mit einem mulmigen Gefühl, ob ihre Mutter für Harvey vielleicht doch mehr empfand als nur eine kleine Schwärmerei.
»Lädt sie etwa alle Angestellten zu Familiengeburtstagen ein?«, fragte sie, wobei sich ihre Stimme hysterisch in die Höhe schraubte.
Sie verstummte jedoch, als Ben sich zu ihr umdrehte, um zu sehen, ob es ein Problem gab. Harvey kam mit
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