Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
damit auch Geld?«
»Der Laden läuft gut«, erwiderte sie und biss sich sogleich auf die Zunge. Verrat ihm bloß keine Details, ermahnte sie sich. Das war genau die Art und Weise, wie er vorging: sich Insiderwissen verschaffen und das dann abspeichern.
Der Hauptgang wurde serviert, und Michelle freute sich über diese Ablenkung. Ihre ganzen Muskeln schmerzten vor Anspannung, obwohl sie nichts anderes getan hatte, als eine halbe Stunde lang auf einem schicken, aber völlig unbequemen Sessel herumzusitzen. Die Stühle waren ihr nie aufgefallen, wenn sie mit Anna hier gewesen war.
»Das klingt, als würdest du meine Mum und meinen Dad oft sehen«, stellte sie fest, als Harvey seinen Fisch auseinandernahm und das Fischfleisch eine Spur zu genüsslich entfernte.
»Na ja, irgendjemand muss es ja tun.« Seine Antwort hatte leicht und unbekümmert geklungen, obwohl er es ganz offensichtlich nicht so meinte. »Du weißt, dass es deinem Dad nicht besonders gut geht?«
»Nein, das wusste ich nicht.« Michelle legte Gabel und Messer beiseite, weil ihr mit einem Mal der Appetit vergangen war. »Mum hat davon nichts gesagt.«
»Oh, er hat ein paar Check-ups hinter sich. Ich bin sicher, dass Carole dich nicht unnötig beunruhigen wollte, wo du doch so viel zu tun hast.« Seine Mundwinkel zuckten. »Eigentlich bin ich sogar sicher, dass nicht einmal Carole alles weiß. Charlie wollte nicht, dass sie so viel Wirbel darum macht.«
»Aber vielleicht würde sie gern einen Wirbel darum machen? Um welche Check-ups handelt es sich denn?« Zwar hatte ihr Dad nach ihrer Geburtstagsfeier recht erschöpft ausgesehen, aber keineswegs krank. Vielleicht auch ein wenig dünner als sonst. Michelle versuchte, sich an irgendwelche Hinweise oder Anzeichen zu erinnern; ihr schlechtes Gewissen meldete sich zu Wort, dass ihr davon nichts aufgefallen war. »Ist es wieder sein Asthma?«
»Nein, die Ärzte vermuten, dass es nur der viele Stress ist. Er arbeitet nämlich immer noch sechs Tage die Woche im Autohaus. Und das ist für einen Mann in seinem Alter einfach zu viel, aber du weißt ja, wie er ist, Shelley. Wir können es ihm schließlich nicht verbieten. Er überprüft sämtliche Autos nach Fingerabdrücken und drängt sich in laufende Verkaufsverhandlungen, um die Autos auch ja an den Mann zu bringen. Du warst die einzige Verkäuferin, der er keine Kunden abgeluchst hat. Und das auch nur, weil er sich nicht getraut hat, dir einen Verkauf aus den Händen zu nehmen.«
Harvey sprach mit großer Zuneigung über ihren Vater. Michelle war überrascht von so viel Gutmütigkeit.
»Erinnere dich daran: Keiner von uns hat das je gewagt«, fuhr er fort. »Und das lag nicht etwa daran, dass du die Tochter vom Chef warst.«
»Darum hast du mich also geheiratet«, scherzte sie. »Um deinen Sollumsatz zu sichern.«
»Das war definitiv ein Grund. Das und der Schlüssel für die Toiletten der Geschäftsführung.«
Er hielt inne und wirkte plötzlich niedergeschlagen, sodass auch Michelle innehielt. Niedergeschlagenheit war kein natürlicher Seinszustand von Harvey und passte überhaupt nicht zu seinem Anzug und dem selbstsicheren Auftreten. Vielleicht war sie selbst nur einfach ein wenig zu empfindlich. Das passierte eben, wenn man viel allein war.
Möglicherweise lag es aber auch an dem dritten Glas Wein, das sie gerade in Angriff nahm.
»Du würdest es mir ja sagen, wenn … es irgendetwas gibt, das ich wissen sollte, nicht wahr?«, fragte sie. »Also über Dad? Ich weiß, dass er dir Sachen erzählt, die er Mum verschweigt. Mir hätte er auch nie gesagt, dass er krank ist. Für ihn ist es Ehrensache, dass er niemals einen Tag krankfeiert.«
»Manchmal ist es leichter, wenn keine verwandtschaftlichen Bande bestehen«, erwiderte Harvey. »Deine Brüder …«
»Fang nicht davon an.« Michelle verdrehte genervt die Augen. »Außer Owen.«
»Aber er wird nie ein Autoverkäufer werden, oder?«, fragte Harvey. »Ich habe noch nie einen Kerl kennengelernt, der so einen schlechten Orientierungssinn hat wie er. Ich hoffe, du lässt ihn nicht mit deinem Auto fahren?«
»Nein«, schüttelte Michelle den Kopf. »Ich brauche mein Auto noch für die Arbeit.«
»Welches Auto fährst du jetzt?« Harvey trank sein Mineralwasser aus und betrachtete sie über den Glasrand hinweg. Seine blauen Augen fixierten sie aufmerksam, als sei sie das Faszinierendste in diesem Raum.
»Einen Golf.« Zwar wollte sie nicht ins Detail gehen, konnte sich aber eine weitere
Weitere Kostenlose Bücher