Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
– da sie fast noch als Schülerin schwanger geworden war. Mit gerade mal zwanzig Jahren hat sie meine älteren Brüder bekommen. Zwischen ihnen und mir und auch Owen besteht ein ziemlich großer Altersunterschied.«
»Bitte entschuldigen Sie meine Bemerkung«, unterbrach sie Rory. »Ich will nicht unhöflich klingen, aber was will eine unabhängige, selbstbewusste Frau wie Sie mit einem so manipulativen Rüpel?«
»Ich war nicht immer so unabhängig«, gestand Michelle. »Als ich Harvey kennengelernt habe, hat er mich aus einer tiefen Depression geholt. Ich denke, er hatte das Gefühl, mich zu dem gemacht zu haben, was ich danach war. Als sei ich sein Eigentum.«
»Welche Depression ist das schon wert?« Rory schien wütend zu sein – stellvertretend für sie.
Michelle sah ihn über den Tisch hinweg an und fuhr ohne nachzudenken fort. »Ich wurde mit siebzehn von der Schule geworfen und hatte anschließend einen Nervenzusammenbruch. Ich habe Jahre gebraucht, um mich davon zu erholen, weil sich meine Mutter strikt geweigert hat, über irgendetwas in dieser Angelegenheit zu sprechen. Ich habe danach einfach viele Dinge zugelassen, weil ich keine Ahnung mehr hatte, wer ich war. Aus der erfolgreichen Streberin war mit einem Mal eine Versagerin ohne Zukunft geworden. Ich habe zugelassen, dass Harvey mich kontrollierte, weil mir alle eingeredet haben, wie glücklich ich mich schätzen konnte. Ich dachte immer, er würde das für mich tun. Jedenfalls hat er das immer behauptet.«
»Und das hat Ihren Zusammenbruch ausgelöst?«, wollte Rory wissen.
Michelles Hand begann zu zittern. »Das ist nicht der Punkt. Der Grund liegt in der Vergangenheit.«
»Na, Sie haben das Thema angesprochen. Hatte es etwas mit dem Internat zu tun? Sind Sie bei den Prüfungen durchgefallen? War zu Hause etwas passiert?«
»Das spielt keine Rolle.« Michelle fing an, den Tisch abzuräumen. Sofort tauchte Tarvish unter Rorys Stuhl auf in der Hoffnung, etwas Toast abzubekommen. »Ich habe die Sache überstanden und hinter mir gelassen.«
Ihr war klar, dass Rory sie ansah, doch sie weigerte sich, ihm in die Augen zu schauen, während sie die Teller zusammenräumte und Krümel beseitigte.
»Weinen Sie immer, wenn Sie joggen?«, fragte er. »Oder ist heute etwas passiert? Ich will ehrlich sein: Sie sahen aus, als sei etwas mit Ihrem Ex passiert. Es war nicht meine Absicht, vorbeizukommen und alles noch schlimmer zu machen. Ich fand nur die Vorstellung schrecklich, Sie in dieser Situation allein zu lassen.«
Michelle hörte mit Abräumen auf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Mühsam versuchte sie, den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken.
»Ich bin nicht richtig geschieden«, erklärte sie zögerlich. »Aber ich werde es sein. Bald schon.«
Bevor Rory darauf antworten konnte, räumte sie die Teller systematisch in die Spülmaschine ein. Im Küchenfenster starrte sie ihr Spiegelbild an und versuchte, darin die hübsche, unabhängige, erfolgreiche einunddreißigjährige Frau zu erkennen, doch aus der Kiste mit den Schulbüchern war eine andere Michelle hervorgekrochen und schwebte ihr im Kopf herum wie ein Geist, der vom Kurs abgekommen war: eine hoffnungsvolle Teenagerin mit Brille, die von Polospielern träumte. Eine Variante von ihr, die es vor Harvey gegeben und die nicht einmal er gekannt hatte.
In der Spiegelung sah sie, dass Rory sie immer noch beobachtete, doch sein gewohnt selbstsicherer Ausdruck war einer großen Nervosität gewichen. Er war unsicher, ob er sie verärgert hatte oder nicht. Dabei war er so offen und ehrlich gewesen und hatte ihr von Zachary erzählt in der Hoffnung, ein Geheimnis auszutauschen, damit er sie berechtigt trösten konnte. Das hatte etwas sehr Galantes an sich.
Eine Episode aus dem Jilly Cooper Roman hallte in Michelle nach. Wenn Rory wirklich so nett war, wie es den Anschein hatte, dann gab es umso mehr Gründe, ihm nicht die ganze schäbige Geschichte zu erzählen. Da zog sie es eindeutig vor, wenn er sie einfach nur dafür bemitleidete, einen solchen Rüpel geheiratet zu haben.
»Eine Scheidung ist nicht schön, aber wenn sie einen Neubeginn bedeutet, dann …«, fing Rory an.
Michelle drehte sich zu ihm um. »Deswegen habe ich nicht geweint. Ich habe mir unter anderem Sorgen um den Laden gemacht«, erklärte sie, weil es zu einem kleinen Teil auch stimmte. »Ich mache mir Sorgen um meine beste Freundin und ihre Stieftöchter und darum, wie ich alle zufriedenstellen kann. Und ich bin
Weitere Kostenlose Bücher