Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
unbenutzten Doppelbett verliehen dem Raum den Anschein eines Süßwarenladens.
Mit einer Hand wischte sie die Kissen vom Bett herunter und griff dann auf der Suche nach ihrem Tagebuch unter die Matratze. Ihre Fingerspitzen berührten den Stoff des Buchdeckels, und ganz langsam zog sie es hervor. Das Tagebuch war immer noch mit den Lederbändern fest verschlossen.
Das ist es also, dachte sie, und wog es in ihrer Hand. Das Buch, das niemand anderes außer mir je gelesen hat. Und ich habe es geschrieben, damit ich alles in einer Situation wie dieser nicht erklären muss. Ganz so, als hätte mein künftiges Ich meinem vergangenen Ich befohlen, alles niederzuschreiben.
Aber sollte sie es Rory zu lesen geben? Sie kannte ihn doch kaum! Dennoch empfand sie etwas für Rory, das sie noch nie für jemand anderen empfunden hatte – sie hatte das Gefühl, dass ganz gleich, was sie ihm von sich erzählte, dies nicht seine Meinung über sie verändern würde. Er würde wahrscheinlich Fragen stellen und mehr nachbohren, als ihr recht wäre, aber bei allem hatte sie den Eindruck, dass sich etwas Positives entwickelte, dem sie trauen konnte.
Mehr noch wollte sie jemandem davon erzählen. Ihr widerstrebte die Vorstellung, dass Harvey und sie die Einzigen bleiben würden, die die ganze Geschichte kannten.
30
» Das Intimleben des Adrian Mole, 13 3/4 bringt mich immer noch zum Lachen. Als Teenager sah mein Tagebuch genauso aus. Wenn ich so zurückblicke, habe ich dort zu allem und jedem meinen Kommentar abgegeben. Und ich wäre vor Scham gestorben, wenn jemand meine Einträge gelesen hätte.«
Katie Parkinson
H ier.« Sie reichte Rory das Tagebuch. »Lies das.«
»Was soll ich lesen?« Er sah sie amüsiert an, wurde dann aber ernst, als er ihre Miene sah. »Was ist das?«
»Mein Tagebuch.« Michelle sprach bedächtig und wählte ihre Worte sorgfältig aus. »Ich habe dir doch erzählt, warum ich vom Internat geschmissen wurde. Na ja, damals war das ein ziemlich großer Skandal. Es stand sogar in der Zeitung. Aber es war nicht nur wegen eines Trinkgelages, wie berichtet wurde. Es war … schlimmer als das. Ich habe versucht, eine Menge der Ereignisse zu vergessen. Eine halbe Ewigkeit lang war ich in einer Art Schockzustand, und als ich diesen hinter mir hatte, ließ meine Mutter keinen Zweifel daran, dass sie die schmutzigen Details nicht hören wollte, wie sie es nannte. Sie warnte mich sogar; wenn ich wollte, dass mein Dad mich weiterhin lieb hatte, sollte ich drüber hinwegkommen und die Sache nie wieder erwähnen.«
»Aber du hast alles niedergeschrieben?«
»Damals habe ich alles aufgeschrieben«, erwiderte Michelle. »Kennst du diesen Spruch? ›Wenn ein Baum im Wald umfällt, aber niemand da ist, um den Knall zu hören, gibt es dann überhaupt dieses Geräusch?‹ Das war ich als Teenager. Wenn ich es nicht aufgeschrieben hätte, wäre es nie passiert.«
»Du hast also im stillen Kämmerlein geschrieben?«, fragte er fasziniert. »Und du hast tatsächlich gerne gelesen?«
Michelle nickte. Es kam ihr vor, als würde sie von einer alten Freundin erzählen, und nicht etwa von sich selbst. »Ich habe andauernd gelesen. Ich habe nur damit aufgehört, weil …« Sie versuchte, einen flüchtigen Gedanken zu packen, den sie nie zuvor auszudrücken vermocht hatte. »Als ich mein Tagebuch noch einmal gelesen habe, ganz von Anfang an, war ich nicht mehr dieses Mädchen. Die Erfahrungen in dem Buch waren meine, aber ich war nicht mehr derselbe Mensch. Ich konnte die Worte nicht mehr glauben. Ich hatte einen solchen Alptraum durchlebt – und es war ein Alptraum im wahrsten Sinne des Wortes; es fühlte sich an, als würde es jemand anderem passieren –, dass es sich total sinnlos anfühlte, über dumme gebrochene Herzen oder Missverständnisse anderer Leute zu lesen. Bücher kamen mir wie Schwindel vor.«
Rory war ganz still geworden und beäugte das Buch in seinen Händen. »Und du bist sicher, dass ich es lesen soll?«
Sie nickte. »Ich will, dass du weißt …« Michelles Lippen waren wie ausgetrocknet, und ihre Zunge fühlte sich an, als würde sie ihr am Gaumen kleben bleiben. »Warum. Warum ich von vorn anfangen und alles so kontrollieren musste, wie ich es tue. Mir ist klar, dass ich ein Kontrollfreak bin. Aber das ist die einzige Möglichkeit, wie ich zurechtkomme.«
»Hast du das Tagebuch in letzter Zeit noch einmal gelesen?«
Sie schüttelte den Kopf, abgestoßen von der Vorstellung, die Tatsachen in ihrer
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