Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
sogar der Mandati geht – das Ergebnis ist immer gleich: Menschen sterben oder leiden. Die Frage ist, wofür sie sterben oder leiden.«
    »Dann rechtfertigt ein Ziel – ein wahres Ziel – also Leiden und sogar den Tod?«
    »Davon musst du überzeugt sein, sonst wärst du nicht hier.«
    Kellhus lächelte, als schämte er sich, ertappt worden zu sein. »Also läuft alles auf die Wahrheit hinaus. Wenn man wahre Ziele verfolgt…«
    »Alles lässt sich rechtfertigen. Jede Qual, jeder Mord.«
    Kellhus bekam große Augen, wie auch Inrau sie – das wusste er – in diesem Moment bekommen hätte. »Jeder Verrat«, sagte er.
    Achamian blickte so steinern drein, wie er nur konnte, doch der Dûnyain sah durch seine dunkle Haut, durch seine feinen Muskeln und sogar durch die Seele hindurch, die sich dahinter plagte. Er sah Qualen und eine Sehnsucht, die von dreitausend Jahren Weisheit durchdrungen war. Er sah, wie ein Kind von seinem betrunkenen Vater geschlagen und schikaniert wurde; sah hundert Generationen Fischer von der Insel Nron vor der furchtbaren Alternative stehen, Hunger zu leiden oder aufs grausame Meer zu fahren; sah Seswatha und den Irrsinn eines hoffnungslosen Kriegs; sah Kämpfer vom Stamm der Ketyai in alter Zeit die Abhänge herunterpreschen; sah diese und andere Schrecken bis in Zeiten zurückreichen, die weit vor jeder Erinnerung lagen.
    Er sah nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit.
    »Jeder Verrat«, wiederholte der Hexenmeister dumpf.
    Gleich hab ich ihn so weit.
    »Und dein Auftrag«, drängte Kellhus. »Die Verhinderung der Zweiten Apokalypse.«
    »An dieser Wahrheit kann es keinen Zweifel geben.«
    »Also kannst du um dieses Auftrags willen jede Untat, jeden Verrat begehen?«
    Achamian blickte erschrocken, und Kellhus bemerkte eine Sorge an ihm, die zu flüchtig war, als dass sie zu einer Frage hätte werden können. Der Ordensmann hatte sich an die Effizienz ihrer Unterhaltungen gewöhnt. Nur selten waren sie – wie jetzt – von Frage zu Frage gegangen.
    »Seltsam«, sagte Achamian, »dass manche Dinge aus dem Munde eines Menschen überzeugend, aus dem Munde eines anderen dagegen unglaublich klingen.«
    Das war eine unvorhergesehene Wendung, die aber auch eine Gelegenheit bot. Eine Abkürzung.
    »Dieser Kontrast beunruhigt«, meinte Kellhus, »weil er zeigt, dass Überzeugungen so billig wie Worte sind. Jeder kann glauben bis in den Tod. Jeder kann behaupten, was du behauptest.«
    »Also fürchtest du, ich bin auch nicht anders als jeder andere Fanatiker.«
    »Du nicht auch?«
    Wie tief geht seine Überzeugung?
    »Du bist der Vorbote, Kellhus. Wenn du Seswathas Traum träumen würdest, wie ich es tue…«
    »Aber könnte Proyas von seinem Fanatismus nicht das Gleiche behaupten? Könnte er nicht sagen: ›Wenn du mit Maithanet sprechen würdest, wie ich es tue…‹?«
    Und wie weit folgt er ihr? Bis in den Tod?
    Der Hexenmeister seufzte und nickte. »Das ist doch immer das Dilemma, oder?«
    »Aber wessen Dilemma – meins oder deins?«
    Oder noch darüber hinaus?
    Achamian lachte in der abgehackten Art von Leuten, die etwas Entsetzliches von sich abrücken wollen.
    »Es ist das Dilemma, in dem die ganze Welt steckt, Kellhus.«
    »Ich brauche mehr als das, Akka. Mehr als nichts sagende Behauptungen.«
    Wird er ihr bis ans Ende folgen?
    »Ich weiß nicht, ob…«
    »Was willst du von mir?«, rief Kellhus plötzlich verzweifelt. Inraus Unentschlossenheit lag in seiner Stimme, und Inraus Entsetzen ließ ihn die Augen weit aufreißen.
    Ich muss es schaffen.
    Der Hexenmeister sah ihn bestürzt an. »Kellhus, ich…«
    »Denk darüber nach, was du mir sagst! Denk nach, Akka! Du sagst, ich sei das Zeichen der Zweiten Apokalypse und verheiße die Vernichtung der Menschheit!«
    Aber natürlich hielt Achamian ihn für mehr als nur das.
    »Nein, Kellhus – du bist nicht das Ende.«
    »Was bin ich dann? Was denkst du, was ich bin?«
    »Ich denke… Ich denke, du bist vielleicht…«
    »Was, Akka? Was?«
    »Alles hat einen Zweck!«, rief der Hexenmeister verzweifelt. »Du bist aus irgendeinem Grund zu mir gekommen – selbst wenn du ihn dir erst noch zu eigen machen musst.«
    Kellhus wusste, dass dies falsch war. Damit Ereignisse einen Zweck hatten, musste er schon ihre Anfänge bestimmen, und das war unmöglich. Die Dinge wurden durch ihren Ursprung beeinflusst, nicht durch ihre Bestimmung. Die Vergangenheit bestimmte die Zukunft. Dass er seine Umgebung so wunderbar manipulieren konnte, war Beweis

Weitere Kostenlose Bücher