Der Prinz von Atrithau
glitzerte der Sempis unter der unbarmherzigen Sonne wie eine Einlegearbeit aus Obsidian. Kaum warf sie einen Blick auf das im Dunst liegende Südufer, spürte sie schon, wie die Heiden sie aus dem üppigen Grün heraus beobachteten.
»Das verstehe ich nicht, Akka«, wiederholte sie, diesmal mit klagendem Unterton.
»Aber Esmi…«
»Aber was?«
Er drehte sich zu ihr um und war unübersehbar irritiert und besorgt. »Es ist eine Bibliothek!«
»Ach ja?«, fragte sie aufgebracht. »Die Ungebildeten sind also nicht…«
»Ach was«, stieß er missmutig hervor. »Hör mal, ich brauche Zeit für mich. Um nachzudenken, Esmi, versteh das doch!«
Er klang und wirkte so verzweifelt, dass sie erschrocken schwieg.
»Über Kellhus«, sagte sie dann. Ihre Kopfhaut prickelte.
»Über Kellhus«, bestätigte er und wandte sich wieder seinem Maultier zu.
»Er hat dich darum gebeten, oder?«, fragte sie beklommen.
Achamian schwieg, doch seine Bewegungen wirkten seltsam verzagt, seine Augen irgendwie leer. Sie merkte, dass sie ihn inzwischen so genau kannte wie ein oft gesungenes Lied.
»Um was soll er mich gebeten haben?«, fragte er schließlich und band dabei seine Schlafmatte an den Packsattel.
»Dass du ihm die Gnosis beibringst.«
Seit sie vor drei Wochen im Gefolge der Truppen aus Conriya ins Sempistal gekommen waren, seit den Gräueltaten der Besatzung und nicht zuletzt seit der Nacht mit der Wathi-Puppe schien Achamian eigenartig angespannt. Seine Nervosität erlaubte ihm allenfalls für Augenblicke, zu lachen oder zu lieben. Aber sie hatte geglaubt, sein Streit mit Xinemus und die damit verbundene Entfremdung der Freunde wäre der Grund dafür gewesen.
Tage zuvor hatte sie den Marschall auf die Sache angesprochen und ihm von den Befürchtungen seines Freundes erzählt. Was Achamian getan habe, sei zwar schändlich gewesen, zeuge aber nicht von Respektlosigkeit, sondern von Dummheit. »Er möchte vergessen, Xin, aber er kann es nicht. Jeden Morgen drücke ich ihn an mich, wenn er schreit. Jeden Morgen erinnere ich ihn daran, dass die Apokalypse vorbei ist… Er hält Kellhus für den Vorboten.«
Aber sie musste feststellen, dass der Marschall dies schon wusste. Er wirkte insgesamt geduldig, doch sein Blick verriet ihn: Seine Augen ruhten nie wirklich auf ihr, und ihr wurde klar, dass etwas Grundsätzlicheres faul war. Achamian hatte ihr mal erzählt, für jemanden wie Xinemus sei es sehr riskant, einen Hexenmeister zum Freund zu haben.
Sie hatte Achamian lediglich mit sanften Hinweisen gedrängt – zum Beispiel mit der Feststellung: »Er macht sich Sorgen um dich, weißt du.« Männliche Empfindlichkeiten sind eine heikle Sache. Achamian behauptete gern, Männer seien einfach gestrickt und schon glücklich, wenn Frauen sie bekochen, befriedigen und belobigen. Das mochte auf gewisse Männer zutreffen – sicher aber nicht auf Drusas Achamian. Also hatte sie abgewartet und angenommen, Zeit und Gewohnheit werde die beiden alten Freunde zu ihrer alten Harmonie zurückfinden lassen.
Dass nicht Xinemus, sondern Kellhus der Grund seiner Sorgen sein mochte, war ihr nie in den Sinn gekommen. Kellhus war heilig – daran hegte sie keinerlei Zweifel mehr. Er war ein Prophet, ob er es nun glaubte oder nicht. Und Hexenkunst war unheilig…
Was würde – laut Achamian – noch aus ihm werden?
Ein Gott-Hexenmeister.
Achamian fummelte weiter an seinem Gepäck herum. Er hatte kein Wort gesagt, und das brauchte er auch nicht.
»Aber wie kann das sein?«, fragte sie.
Achamian hielt inne und starrte kurze Zeit ins Leere. Dann wandte er sich zu ihr um, ohne dass seine Miene Hoffnung oder Entsetzen verraten hätte.
»Wie ein Prophet gotteslästerliche Dinge sagen kann?«, fragte er, und sie begriff, dass er sich darüber schon lange grämte. »Ich hab das von ihm wissen wollen…«
»Und was hat er dir geantwortet?«
»Er hat geflucht und darauf beharrt, kein Prophet zu sein. Er war gekränkt, sogar verletzt.«
Sein resignierter Ton schien zu sagen: Ich habe einfach eine Begabung, anderen wehzutun.
Verzweiflung wallte in Esmenet auf. »Du darfst ihn nicht unterrichten, Akka, auf keinen Fall. Versteh doch: Du bist der Versucher. Er muss dir und dem Machtversprechen widerstehen, das du verkörperst. Er muss sich dir verweigern, um der zu werden, der er werden muss!«
»Glaubst du das wirklich?«, rief Achamian. »Dass ich König Shikol bin, der Sejenus mit weltlicher Macht versucht, wie der Traktat es beschreibt?
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