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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Sie dachte oft an ihre tote Tochter und zog verbotene Vergleiche zwischen diesen beiden kalten Welten. Sie ging an den Sempis, starrte auf sein schwarzes Wasser und wusste nicht, ob sie davon trinken oder sich ertränken wollte. Mitunter stand sie da und winkte in die Ferne.
    Sie war ein Körper, den es fror.
    Tage und Nächte vergingen. Augenblick für Augenblick.
    Esmenet war eine Hure gewesen, und Huren wussten zu warten. Ihre Tage reihten sich aneinander wie die Worte einer Schriftrolle, die so lang war wie das Leben selbst, und jedes dieser Worte flüsterte ihr das Gleiche zu.
    Die Luft ist rein, Geliebter. Komm heraus.
    Die Luft ist rein.
    Seit er das Lager von Xinemus verlassen hatte, verbrachte Cnaiür seine Tage kaum anders als zuvor, konferierte also entweder mit Proves oder erfüllte dessen Wünsche. Skauras hatte in den Wochen nach feiner Niederlage keine Zeit vergeudet. Die Gebiete, die er nicht verteidigen konnte, hatte er geräumt, darunter das gesamte Nordufer des Sempis, und jedes Boot verbrannt, dessen er habhaft wurde, um ein massenhaftes Übersetzen des Heiligen Kriegs zu verhindern. Überall am Südufer ließ er provisorische Wachtürme errichten und sammelte die Reste seiner Armee. Zum Glück für die Shigeki und ihre neuen Herren hatte er beim Rückzug weder Kornspeicher noch Felder oder Obstgärten in Brand gesteckt. Saubon behauptete im Rat, das habe am hastigen Rückzug der Heiden gelegen, der wiederum eine Folge des Schreckens sei, den der Heilige Krieg verbreitet habe. Doch Cnaiür wusste es besser. Die Kianene hatten das Nordufer des Sempis ganz und gar nicht planlos geräumt. Ihnen war klar, dass Hinnereth die Männer des Stoßzahns aufhielt. Selbst bei Zirkirta, wo die Scylvendi die Heiden acht Jahre zuvor vernichtend geschlagen hatten, hatten die Kianene ihre Niederlage rasch verwunden. Sie waren ein zäher und einfallsreicher Menschenschlag.
    Skauras hatte das Nordufer geschont, weil er es zurückerobern wollte – das war Cnaiür sonnenklar.
    Diese Tatsache freilich stieß den Inrithi übel auf. Selbst Proyas, der sich von den Vorurteilen seines Standes frei gemacht und die Unterweisung durch Cnaiür akzeptiert hatte, mochte nicht glauben, dass die Kianene noch eine echte Gefahr darstellten.
    »Bist du dir deines Sieges sicher?«, fragte Cnaiür, als er eines Abends allein mit dem Prinzen aß.
    »Aber natürlich«, entgegnete Proyas.
    »Und warum?«
    »Weil mein Gott es so will.«
    »Würde Skauras nicht eine sehr ähnliche Antwort geben?«
    Proyas’ Brauen zuckten aufwärts, und er runzelte die Stirn. »Darum geht es doch gar nicht, Scylvendi. Die Frage ist doch, wie viele Menschen wir getötet und welchen Schrecken wir den Heiden eingejagt haben.«
    »Zu wenige Menschen und viel zu wenig Schrecken.«
    Cnaiür erklärte, wie die Geschichtssänger der Scylvendi ihre Verse vortrugen, die sich mit jedem einzelnen Truppenverband der Nansur beschäftigten und deren Standarten und Waffen und ihr Stehvermögen in der Schlacht beschrieben. Wenn also die Stämme der Steppe Jiünati auf Wallfahrt gingen oder in den Krieg zogen, konnten sie die Schlachtordnung des Heers der Nansur mühelos erkennen. »Darum haben wir am Kiyuth verloren«, sagte er. »Conphas hat die Standarten seiner Truppen vertauscht und uns eine falsche Geschichte erzählt.«
    »Jeder Dummkopf vermag die Schlachtordnung des Gegners zu erkennen! «, stieß Proyas hervor.
    Cnaiür zuckte die Achseln. »Dann erzähl mir doch mal, welche Geschichte du auf den Ebenen von Mengedda gelesen hast.«
    Proyas erbleichte. »Woher soll ich das wissen? Erkannt hab ich nur eine Hand voll Truppen…«
    »Ich habe sie alle erkannt«, behauptete Cnaiür. »Von allen bedeutenden Familien der Kianene – und das sind viele! – haben sich uns bei Mengedda nur zwei Drittel entgegengestellt, darunter vermutlich eine Reihe von Scheintruppen – je nachdem, wie viele Feinde Skauras unter seinen Adelsgenossen hat. Nach dem Massaker am Gemeinen Heiligen Krieg haben sicher viele – auch der Padirajah – die Bedrohung durch den Heiligen Krieg stark unterschätzt…«
    »Nun aber…«, begann Proyas.
    »Diesen Fehler werden sie nicht wiederholen. Sie werden Verträge mit Girgash und Nilnamesh schließen, all ihre Truppen aufbieten, jedes Pferd satteln, jeden Sohn bewaffnen… Täusch dich nicht: In diesem Augenblick reiten Tausende gen Shigek. Sie werden dem Heiligen Krieg mit gleicher Münze antworten.«
    Nach diesem Wortwechsel beugte sich Proyas

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