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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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den Warnungen Cnaiürs vollkommen. Als die übrigen Hohen Herren (außer Conphas) bei der nächsten Beratung über den Scylvendi und seine Mahnungen spotteten, ließ Proyas Gefangene, die er bei Überfällen auf dem anderen Flussufer gemacht hatte, vor sie schleppen. Sie bestätigten alles, was Cnaiür vorhergesagt hatte. Über eine Woche lang seien Granden aus so weit entfernten Städten wie Seleukara und Nenciphon aus der südlichen Wüste geritten gekommen. Einige Namen schienen selbst den Norsirai ein Begriff: Cinganjehoi, der weit bekannte Sapatishah von Eumarna; Imbeyan, der Sapatishah von Enathpaneah; Dunjoksha, der tyrannische Sapatishah, der von Shimeh aus Amoteu regierte.
    Man einigte sich darauf, der Heilige Krieg müsse den Sempis so rasch wie möglich überschreiten.
    »Unglaublich, dass ich dich noch vor einiger Zeit nur für ein wirksames Instrument gehalten habe, die Pläne des Kaisers zu durchkreuzen«, vertraute Proyas dem Scylvendi hinterher an. »Und nun bist du – zwar nicht nominell, aber faktisch – unser Oberbefehlshaber. Ist dir das eigentlich klar?«
    »Ich habe nichts gesagt oder vorgeschlagen, was nicht auch Conphas hätte sagen oder vorschlagen können.«
    Proyas lachte. »Aber die Hohen Herren vertrauen ihm nicht mehr.«
    Cnaiür grinste, doch irgendwie schmerzten ihn diese Worte. Was zählte schon das Vertrauen von Hunden und Vieh?
    Er war für den Krieg geboren und konsequent dafür ausgebildet worden – das war die einzige Gewissheit seines Lebens. Also befasste er sich leidenschaftlich mit dem Problem, das Südufer anzugreifen. Während die Hohen Herren für den Bau so vieler Flöße und Lastkähne sorgten, dass der gesamte Heilige Krieg über den Sempis befördert werden konnte, überwachte Cnaiür das Bemühen der Leute aus Conriya, den idealen Ort zum Übersetzen zu finden. Er unternahm nächtliche Züge aufs Südufer und hatte sogar Kartografen dabei, um eine Karte des jeweiligen Gebiets anzufertigen. Wenn ihn etwas an der Kriegführung der Inrithi beeindruckte, dann ihr Gebrauch von Landkarten. Er leitete die Befragung der Gefangenen und brachte Proyas’ Inquisitoren sogar ein paar traditionelle Folterpraktiken der Scylvendi bei, fragte aber auch diejenigen, die – wie Graf Athjeäri – das Südufer zwecks Plünderungen und aus Zerstörungslust überfielen, nach dem, was sie gesehen hatten. Und er beriet sich mit Leuten wie Graf Cerjulla, General Biaxi Sompas und Pfalzgraf Uranyanka, die die gleiche Aufgabe hatten wie er.
    Von den Beratungen bei Proyas abgesehen, sah oder sprach er Kellhus nie. Der Dûnyain war kaum mehr als ein Gerücht.
    Cnaiürs Tage verliefen ähnlich wie zuvor.
    Seine Nächte hingegen waren ganz anders geworden.
    Er schlug sein Zelt nie zweimal am gleichen Ort auf. Meist ritt er nach Sonnenuntergang oder nach dem Abendessen bei Proyas und seinem Adel aus dem Lager hinaus in die Felder. Er machte sein eigenes Feuer und lauschte, wie der Nachtwind durch die Bäume heulte. Bisweilen starrte er auf das Lager der Leute aus Conriya und zählte wie besessen, wie viele Feuer er dort brennen sah. »Die Zahl der Lagerfeuer verrät dir die Stärke deines Gegners«, hatte sein Vater ihm einmal gesagt. Manchmal blickte er zu den Sternen empor und fragte sich, ob auch sie seine Feinde waren. Und mitunter stellte er sich vor, er lagerte in der einsamen Steppe. In der heiligen Steppe.
    Oft brütete er über Serwë und Kellhus und ertappte sich dabei, fortwährend die Gründe herunterzubeten, die ihn dazu bewogen hatten, Serwë dem Dûnyain zu überlassen. Er war ein Krieger – ein Krieger der Scylvendi! Wozu brauchte er da eine Frau?
    Und doch musste er immer wieder an sie denken. An ihre volle Brust und die geschwungene Linie ihrer Hüften – herrlich! Wie begeistert er von ihr war! Freilich so, wie es sich für einen Krieger ziemte! Schließlich war sie seine Beute.
    Er dachte daran, wie er sich schlafend gestellt, tatsächlich aber in der Dunkelheit ihrem Schluchzen gelauscht hatte. Er erinnerte sich seiner Gewissensbisse, die schwer waren wie Frühlingsschnee, dessen Kälte atemlos macht. Was für ein Narr war er gewesen! Er dachte an die Entschuldigungen, an die verzweifelten Appelle, die ihren Hass lindern und sie verstehen lassen sollten. Er dachte daran, wie es war, ihren sanft gewölbten Bauch zu küssen. Und er dachte an Anissi, seine Lieblingsfrau, die im flackernden Halbdunkel der weit entfernten Heimat schlummerte und ihre Tochter Sanathi in den Armen

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