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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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verführen, doch davon hatte er nichts wissen wollen.
    Der Heilige Krieg – alles drehte sich nur um diesen verdammten Krieg!
    Was war mit Achamian?
    Kellhus jedenfalls durfte sich dem Schicksal nicht in den Weg stellen. Er war einer weit bedeutenderen Göttin Rechenschaft schuldig.
    »Und wenn Akka zurückkehrt?«, fragte sie schluchzend. »Wenn er zurückkommt und mich nicht finden kann?«
    Obwohl all ihre Freunde gegangen waren, war ihr Zelt, nein, Akkas Zelt an Ort und Stelle geblieben. Esmenet verweilte noch immer dort, wo sie so große Freude erlebt hatte. Unter dem Kommando von Iryssas behandelten die Leute aus Attrempus sie mit Achtung und Respekt und nannten sie die Frau des Hexenmeisters.
    »Es ist nicht gut für dich, allein hier zu bleiben«, sagte Xinemus. »Iryssas marschiert bald mit Proyas los, und die Shigeki… Es könnte Vergeltungsmaßnahmen geben.«
    »Damit komm ich schon klar«, stieß sie heiser hervor. »Ich hab mein ganzes Leben allein verbracht, Xin.«
    Xinemus rappelte sich auf und strich ihr mit dem Daumen behutsam eine Träne von der Wange. »Pass auf dich auf, Esmi.«
    »Was wirst du tun?«
    Er sah kurz an ihr vorbei in die Ferne – vielleicht auf die Ziggurate, die im Dunst lagen, vielleicht ins Leere.
    »Ich werde ihn suchen«, sagte er ohne viel Hoffnung.
    »Dann reite ich mit dir«, rief sie und sprang auf.
    Ich komme, Akka! Ich komme!
    Xinemus schritt wortlos zu seinem Pferd, saß auf, zog ein Messer aus dem Gürtel und warf es in die Luft. Mit dumpfem Geräusch fuhr es vor Esmenets Füßen in die Erde.
    »Nimm es«, sagte er. »Und pass auf dich auf, Esmi.«
    Jetzt erst fiel Esmenet auf, dass Dinchases und Zenkappa in einiger Entfernung auf ihren früheren Befehlshaber warteten. Sie winkten ihr zu, bevor sie ihm nachritten. Sie fiel auf ihren Sitz zurück, brach erneut in Tränen aus und vergrub das Gesicht in den Armen.
    Als sie wieder aufsah, waren die drei Reiter verschwunden.
    Falls Frauen wirklich die ältesten Begleiter der Hoffnung waren, dann wegen ihrer Hilflosigkeit. Gewiss übten sie oft große Macht über einzelne Feuerstellen aus, aber die Welt dazwischen gehörte den Männern. Und dorthin war Achamian verschwunden: ins kalte Dunkel zwischen den Feuerstellen.
    Sie konnte nur eines tun: warten. Welche größere Qual konnte es geben? Nichts rückt einem die eigene Ohnmacht deutlicher vor Augen als das schlichte Verstreichen der Zeit. Ein Moment nach dem anderen verging, mal in zähem Unglauben, mal in lautlosem Schreien. Und durch jeden Augenblick irrlichterten die quälenden Fragen: Wo ist er? Was werde ich ohne ihn tun? Und in Momenten der Hoffnungslosigkeit dachte sie düster: Er ist tot. Ich bin allein.
    Zu warten war die traditionelle Frauenrolle. Am Herd zu warten, sehnsüchtig Ausschau zu halten und dabei ständig von oben herab gemustert zu werden. Sich endlos wegen Kleinigkeiten aufzureiben. Zu grübeln ohne Hoffnung auf Einblick. Gesagte und angedeutete Worte zu wiederholen. Andeutungen nachzulaufen, die zu Beschwörungen wurden, als ob die Bewegungen ihrer Seele trotz schwankender Genauigkeit und immenser Schmerzen die Welt inniger fassen und so zum Nachgeben zwingen könnten.
    Im Laufe der Zeit schien sie ein Ruhepol im schwerfälligen Kreislauf der Ereignisse geworden zu sein. Die Zelte und Pavillons wurden abgebaut, die Wagen des Trosses beladen. Gepanzerte Ritter sprengten heran und verschwanden wieder und hatten obskure Schreiben oder gewichtige Befehle dabei. Große Kolonnen wurden auf den Weiden gebildet und zogen mit Rufen und Liedern davon.
    Nur Esmenet saß allein inmitten der Verlassenheit. Sie beobachtete, wie der Wind über das zertrampelte Gras strich und Bienen als schwarze, summende Punkte über die malträtierte Landschaft irrten. Sie fühlte sich wie von Stille balsamiert und war durch den falschen Frieden des abziehenden Spektakels zur Reglosigkeit verdammt.
    Von ihren jämmerlichen Habseligkeiten abgewandt und der glühenden Sonne schutzlos ausgesetzt, saß sie weinend vor Achamians Zelt und rief seinen Namen, als könnte er sich in den Wäldchen aus Schwarzweiden versteckt halten, deren grüne Äste so wild schwankten, als würden verschiedene Himmel an ihnen zerren.
    Sie konnte ihn beinahe hinter dem im Schatten schwarz wirkenden Stamm dort kauern sehen.
    Komm heraus, Akka! Sie sind alle fort. Die Luft ist rein, Geliebter!
    Tage und Nächte vergingen.
    Esmenet stellte heimlich eigene Nachforschungen an, ohne aber auf Antwort zu hoffen.

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