Der Prinz von Atrithau
ihnen kaum Erleichterung. Niemand sagte ein Wort. Sie bildeten eine schier endlose Prozession stummer Geister, die das Auf und Ab der Carathay querten. Verstaubt, gequält, hohläugig und mit schwankenden Gliedern zogen sie vorwärts. Wie eine Schaufel Erde im Wasser zerfiel ihre Marschordnung, und sie entfernten sich so weit voneinander, bis der Heilige Krieg nur noch aus zusammenhanglosen Gestalten bestand, die durch Kies und Staub schlurften.
Als die Sonne aufging, war das Ende der Wüste noch immer nicht in Sicht. Der Heilige Krieg war eine Gespensterarmee geworden. Tote und Sterbende lagen zu Tausenden hinter ihm verstreut, und während des Vormittags starben weitere Inrithi. Manche verloren einfach den Willen und ließen sich auf den Hintern fallen. Andere zwangen sich voran, bis der gequälte Leib den Gehorsam versagte, krochen dann noch eine Weile kraftlos durch den Sand und krächzten vergeblich nach Hilfe und Beistand.
Zungen schwollen. Pergamentene Haut wurde schwarz und spannte, bis sie über violettem Fleisch platzte und die Sterbenden unkenntlich machte. Beine knickten ein und verweigerten den Dienst, als wäre das Rückgrat gebrochen. Und bei all dem brannte die Sonne erbarmungslos auf sie herab.
Es gab kein Weinen, Jammern oder erstauntes Rufen. Brüder ließen einander im Stich, Männer ihre Frauen. Jeder war ein einsames Elend geworden und wanderte, wanderte.
Verflogen war die Aussicht auf das Süßwasser des Sempis, vergangen die Aussicht auf Enathpaneah.
Verschwunden war auch die Stimme des Kriegerpropheten.
Nur die Prüfung blieb und stauchte ihren Herzschlag zu einer gequälten Linie zusammen, die so dünn und karg wie die Wüste war, in der ihre Herzen vergingen, die mit nachlassender Kraft immer dickeres Blut durch ihre Adern pumpten.
Tausende Männer starben keuchend, und jeder Atemzug schien ihnen in der Glut unwahrscheinlicher als der vorangegangene. Sie sogen letzte Momente alptraumhaften Lebens durch Kehlen, die aus Holzkohle zu sein schienen. Die Hitze kam ihnen plötzlich wie kühler Wind vor. Schwarze Finger zuckten durch den Sand. Wächserne Augen sahen zur gleißenden Sonne auf.
Die Stille jammerte, und die Einsamkeit war unendlich.
Esmenet stolperte neben ihm dahin. Ihre Füße spürten den Sand und den glühenden Kies nicht mehr. Über ihr loderte und loderte die Sonne, doch sie fragte sich längst nicht mehr, wie Licht ein Geräusch machen konnte.
Er trug Serwë auf den Armen, und Esmenet glaubte, nie etwas so Triumphales gesehen zu haben.
Dann blieb er an einem Ort stehen, von dem aus sich ein weiter Blick auf die dunkle Landschaft bot.
Sie schwankte, und die heulende Sonne drehte sich über ihr, aber er war da und stützte sie. Sie wollte sich über die aufgesprungenen Lippen fahren, doch dafür war ihre Zunge zu geschwollen. Sie sah ihn an, und er lächelte und wirkte dabei unglaublich gesund.
Dann lehnte er sich zurück und rief der grün gewellten Landschaft, die fern im Dunst lag, und dem glitzernden Fluss, der durch das Grün mäandrierte, etwas zu, und ihr schien, als würden seine Worte vom ganzen Horizont widerhallen.
»Vater?Wir kommen, Vater!«
IOTHIAH, SPÄTSOMMER 4111
Die drei Männer wichen in einen dunklen Winkel zurück. Den toten Kriegersklaven schleppten sie mit.
»Und ich hatte diese Kerle für zähe Burschen gehalten«, flüsterte Dinchases, in dessen Augen noch der Mord stand, den er gerade verübt hatte.
»Das sind sie«, antwortete Xinemus leise und ließ die Augen über den düsteren Hof unter ihnen mit seinen verwirrend vielen Freiflächen, nackten Mauern und kunstvollen Fassaden wandern. »Die Javreh der Scharlachspitzen sind aus den Steinbrüchen der Sranc und hartgesotten. Das solltest du dir merken.«
Zenkappa grinste im Dunkeln. »Glück gehabt, Dinch.«
»Beim Barte des Propheten!«, schimpfte Dinchases. »Ich…«
»Sch!«, fauchte Xinemus. Dinchases und Zenkappa waren gute, mutige Männer, aber darauf getrimmt, Auseinandersetzungen zu suchen, und nicht durchs Halbdunkel zu schleichen, wie sie es gerade taten. Und es verletzte Xinemus, dass sie unfähig zu sein schienen, die Bedeutung dessen zu erfassen, was sie hier unternahmen. Achamians Leben bedeutete ihnen offenbar wenig. Er war ein Hexenmeister, also etwas Abscheuliches, und sein Verschwinden hatte sie vermutlich ziemlich erleichtert. Unter frommen Männern hatten Gotteslästerer keinen Platz.
Wenn sie die Bedeutung ihrer Aufgabe auch nicht erfassen
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