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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Hexenmeister war jetzt so nah, dass der Marschall sein Ainoni-Parfüm riechen konnte.
    »Unsere Informanten haben uns berichtet«, sagte der Mann, und sein Ton schien anzudeuten, unschickliche Angelegenheiten erwähne man unter höflichen Leuten nach Möglichkeit nicht, »Ihr seid Achamians engster Freund – seit ihr beide Hauslehrer von Proyas wart.«
    Wie jemand, der sich nicht völlig aus einem Alptraum befreien kann, stierte Xinemus ihn apathisch an. Tränen strömten ihm über die Wangen.
    Ich hab dich schon wieder im Stich gelassen, Akka.
    »Wisst Ihr, Herr Marschall, wir fürchten, dass Drusas Achamian uns Lügen auftischt. Erst sehen wir mal, ob das, was er Euch erzählt hat, mit dem übereinstimmt, was er uns erzählt. Und dann schauen wir, ob er die Gnosis für wertvoller erachtet als seinen besten Freund. Ob für ihn Wissen wertvoller ist als Leben und Liebe.«
    Dem Hexenmeister schien ein köstlicher Gedanke zu kommen.
    »Ihr seid ein frommer Mann, Marschall. Da wisst Ihr sicher, was es bedeutet, ein Instrument der Wahrheit zu sein?«
    Ja, das wusste er.
    Es bedeutete zu leiden.
     
     
    Mauertrümmer sahen unter verkohlten Balken hervor.
    Verfallene Wände ragten aus dem Schutt bizarr in die Nacht.
    Umgestürzte Säulen lagen im Mondlicht.
    Die Reste der Sareotischen Bibliothek, die der Gier der Scharlachspitzen zum Opfer gefallen war.
    Es war still – bis auf ein kaum vernehmbares Kratzen, das sich anhörte, als spielte ein gelangweiltes Kind mit einem Löffel.
    Wie lange war sie rattengleich durch Hohlräume gehuscht und durch labyrinthische Flure gekrochen, die beim Einsturz des Gebäudes weitgehend verschüttet worden waren? Wie lange war sie an Büchern vorbeigerobbt, an deren hölzernen Einbänden das Feuer gezüngelt hatte, so dass sie in Schuppenpanzer von Krokodilen verwandelt schienen? Einmal war sie auch an einer leblosen Hand vorbeigekommen. Durch ein kleines Bergwerk hatte sie sich gegraben, dessen einziges Erz zu Schanden gegangenes Wissen war. Hinauf, immer hinauf hatte sie sich kriechend gewühlt und gebuddelt. Wie lange? Tage? Wochen?
    Von Zeit hatte sie so gut wie keine Vorstellung.
    Sie kämpfte sich durch zerrissene Pergamente, auf die mächtige Steine drückten, wuchtete einen handgroßen Ziegel beiseite und hob das seidige Gesicht zu den Sternen empor. Dann kletterte und kletterte sie und schob den kleinen Puppenleib schließlich auf den Gipfel der Ruine.
    Dort hob sie ein winziges Messer, nicht größer als eine Katzenzunge.
    Als wollte sie damit den Nagel des Himmels berühren.
    Eine Wathi-Puppe, die einer toten Hexe aus Sansor gestohlen worden war.
    Jemand hatte ihren Namen ausgesprochen.

19. Kapitel
     
    ENATHPANEAH
     
     
     
    Was ist das für eine Vergeltung, bei der er schlummert, während ich leide? Blut stillt keinen Hass und befreit von keiner Sünde. Wie Samen ergießt es sich aus eigenem Willen und hinterlässt nur Trauer.
     
    Hamishaza: König Tempiras
     
     
    … und meine Soldaten, heißt es, vergöttern ihr Schwert. Aber vermittelt das Schwert nicht Sicherheit? Stellt es die Dinge nicht klar? Erzwingt es nicht Freundlichkeit bei denen, die in seinem Schatten knien? Ich brauche keinen anderen Gott.
     
    Triamis: Tagebücher und Dialoge
     
     
     
    ENATHPANEAH, SPÄTHERBST 4111
     
    Das Erste, was Proyas vernahm, war Blätterrauschen. Dann hörte er – unvorstellbar eigentlich! – Wasser sprudeln.
    Ich bin doch in der Wüste!
    Er schrak hoch und blinzelte mit vor Schmerz tränenden Augen in die Sonne. Hinter seiner Stirn schien ein Stück Kohle zu glühen. Er wollte seinen Leibsklaven Algari rufen, bekam aber nur ein Flüstern über die brennenden Lippen.
    »Dein Sklave ist tot.«
    Proyas erinnerte sich schwach an einen großen Aderlass in der Wüste.
    Er wandte sich der Stimme zu und fand Cnaiür über etwas gebeugt, das wie ein Gürtel aussah. Der Scylvendi hatte kein Hemd an, und Proyas sah die blasige Haut der enormen Schultern und das stechende Rot der vernarbten Arme. Cnaiürs sonst so sinnliche Lippen waren geschwollen und rissig. Hinter ihm schoss ein Bach durch eine teils gemauerte, teils in den Fels gehauene Rinne. Ringsum wucherte üppiges Grün.
    »Du hier, Scylvendi?«
    Cnaiür sah auf, und erstmals bemerkte Proyas, dass er nicht mehr jung war: Viele Falten rahmten seine schneeblauen Augen, und in seiner schwarzen Mähne zeigten sich erste graue Haare. Dieser Barbar ist nicht viel jünger als mein Vater, dachte der Prinz von Conriya.
    »Was ist

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