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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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mit den Schnurrhaaren wahr, was sich in seinem Gesichtsfeld tat.
    Kein Herzschlag war zu spüren, kein pfeifendes Rattenquieken zu hören, das nur er hätte vernehmen können.
    Etwas aber bewegte sich.
    Er warf sich mit gestreckten Pfoten auf dieses schattenhafte Etwas, riss es zu Boden und vergrub die Klauen in seinem Nacken, die Zähne im weichen Gewebe der Kehle. Der Geschmack stimmte nicht. Der Geruch auch nicht. Da spürte er den ersten Schnitt, dann den zweiten. Er riss an der Kehle und suchte nach Fleisch und dem herrlichen Strömen warmen Bluts.
    Aber da war nichts.
    Noch ein Schnitt.
    Der Kater ließ das Ding los und wollte davonschleichen, doch seine Hinterläufe knickten ein. Er miaute kläglich und kratzte über das schorfige Pflaster.
    Kleine Puppenarme legten sich um seine Kehle.
    Das Letzte, was er roch, war Blut.

CARASKAND, SPÄTHERBST 4111
     
    An der Route, die die Gegenden südlich der Carathay mit Shigek und dem Kaiserreich Nansur verband, lag Caraskand, eine alte, strategisch bedeutende Zwischenstation. Was die Kaufleute dem launischen Meer nicht anvertrauen wollten – Seide aus Zeüm, Zimt, Pfeffer und prächtige Wandteppiche aus Nilnamesh, Wolle aus Galeoth und edle Weine aus Nansur –, ging seit Jahrtausenden über die großen Basare von Caraskand.
    In der Alten Dynastie war die Stadt ein Vorposten von Shigek gewesen, dann aber im Laufe der Jahrhunderte gewachsen. In den kurzen Zeiträumen, da sie nicht zum Imperium einer großen Nation gehörte, beherrschte sie ein eigenes kleines Reich. Enathpaneah war ein hügeliges Land, dessen Sommer trocken wie in der Carathay, dessen Winter aber verregnet wie in Eumarna waren. In seiner Mitte lag das auf neun Hügeln erbaute Caraskand, dessen Stadtmauern aus der Zeit Triamis I. stammten, des bedeutendsten ceneischen Aspektkaisers. Die riesigen Marktplätze waren unter Kaiser Boksarias angelegt worden, als Caraskand einer der reichsten Verwaltungssitze des Ceneischen Reichs gewesen war. Die im Dunst liegenden Türme und riesigen Unterkünfte der Zitadelle des Hundes, die von allen neun Hügeln zu sehen war, stammten von dem kriegslüsternen Xatantius, dem Kaiser von Nansur, dem Caraskand bei seinen endlosen Kriegen gegen Nilnamesh als stellvertretende Hauptstadt gedient hatte. Und die weiße Marmorpracht des Sapatishah-Palasts, die die Kniende Höhe zu einer Akropolis machte, stammte von Pherokar I. dem wildesten und frömmsten unter den frühen Padirajahs von Kian.
    Obwohl tributpflichtig, war Caraskand eine große Stadt wie Momemn, Nenciphon oder sogar Carythusal. Und obwohl sie Beute unzähliger Kriege gewesen, war sie doch stolz.
    Und stolze Städte ergaben sich nicht kampflos.
    Entgegen den Ankündigungen des Padirajah hatte der Heilige Krieg Khemema überlebt. Die Männer des Stoßzahns waren kein furchteinflößendes Gerücht aus dem Norden mehr: Rauchwolken am Horizont bezeugten ihr Kommen. Flüchtlinge belagerten die Tore und berichteten von hemmungslosen Metzeleien. Der Heilige Krieg sei der Zorn des Einzigen Gottes, meinten sie. Gott habe die Götzendiener gesandt, um die Bewohner Enathpaneahs für ihre Schandtaten zu bestrafen.
    Caraskand geriet in Panik, und nicht mal die Beschwichtigungen des ruhmreichen Sapatishah-Gouverneurs Imbeyan konnten die Bewohner der Stadt besänftigen. War er nicht wie ein geprügelter Hund aus Anwurat geflohen? Hatten die Götzendiener nicht drei Viertel der Granden von Enathpaneah getötet? Seltsame Namen machten in den Straßen die Runde. Von Saubon war die Rede, der blonden Bestie der barbarischen Galeoth, dessen Blick allein einem das Herz in die Hose sacken lasse; von Conphas, dem gewieften Taktiker, dessen militärisches Genie sogar die Scylvendi besiegt habe; von Athjeäri, der mehr Wolf als Mensch sei, die Hänge durchstreife und den Bewohnern Enathpaneahs die letzten Hoffnungen raube; von den Scharlachspitzen, widerlichen Hexenmeistern, denen sogar die Cishaurim aus dem Weg gingen; von Kellhus schließlich, dem Dämonen, der als falscher Prophet unter ihnen wandle und sie zu verrückten und teuflischen Handlungen anstifte.
    Nirgendwo auf den Straßen und Basaren von Caraskand aber wurde über die Kapitulation der Stadt gesprochen. Nur wenige flohen. Fast alle waren sich stillschweigend einig, den Götzendienern Widerstand zu leisten, wie es Gottes Wille sei. Und man floh Gottes Zorn so wenig wie ein Kind die strafend erhobene Hand seines Vaters.
    Bestraft zu werden, war des Gläubigen Los.
    Sie

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