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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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passiert?«, krächzte Proyas.
    Der Scylvendi nestelte weiter an dem Leder um seine wunden Fingerknöchel. »Du bist zusammengebrochen. In der Wüste.«
    »Hast du… Hast du mich etwa gerettet?«
    Cnaiür hielt inne, ohne aufzusehen. Dann widmete er sich wieder seiner Arbeit.
     
     
    Die von der gleißenden Sonne zerrütteten Männer plünderten, als kämen sie aus der Hölle, fielen über die Dörfer her und stürmten die an den Hängen stehenden Forts und Landgüter des nördlichen Enathpaneah. Jedes Gebäude wurde gebrandschatzt und alle Bewohner niedergemetzelt, auch Frauen und Kinder.
    Es gab keine Unschuldigen. Dieses Geheimnis hatten sie aus der Wüste mitgebracht.
    Alle waren schuldig.
    Sie zogen scharenweise nach Süden – Versprengte, die aus den Ebenen des Todes gekommen waren, um das Land zu quälen, wie sie gequält worden waren, und um Leiden zu stiften, wie auch sie hatten leiden müssen. Die Schrecken und Grausamkeiten der Wüste standen in ihren gespenstischen Augen und hatten ihre hageren Gestalten gezeichnet.
    Etwa dreihunderttausend Menschen, davon wohl sechzig Prozent Kämpfer, waren unter dem Zeichen des Stoßzahns in Khemema einmarschiert. Nur hunderttausend davon – fast durchweg Soldaten – hatten das Land lebendig wieder verlassen. Bis auf Pfalzgraf Detnammi allerdings hatte niemand vom Hochadel sein Leben verloren. Der Tod hatte die Hohen und Niederen Herren der Inrithi als Zirkelspitze genommen und um sie herum stets kleiner werdende Kreise gezogen, denen erst die Sklaven und der Tross, dann die angeheuerten Fußsoldaten, dann weitere Gruppen zum Opfer gefallen waren. Stand und Stellung hatten über das Weiterleben entschieden. Zweihunderttausend Menschen hatten den Marsch von der Oase Subis nach Enathpaneah nicht überlebt und waren von der glühenden Sonne in schwarzes Leder verwandelt worden.
    Noch Generationen später nannten die Khirgwi ihre Marschroute saka’ilrait, den Pfad der Schädel.
    Die unglaublichen Strapazen dieser Wüstenwanderung hatten die Seelen der Inrithi zu Messern werden lassen. Und nun machten sich diese Männer zu einem weiteren Zug auf, der genauso entsetzlich war und noch weit blutiger werden würde.

IOTHIAH, SPÄTHERBST 4111
     
    Wie lange hatten sie ihn verhört?
    Wie viel hatte er ertragen müssen?
    Doch egal, ob sie ihn mit einfachen Schürhaken oder mit raffinierten Illusionen quälten: Sie konnten seinen Willen nicht brechen. Er schrie und schrie, bis sein Heulen von weither zu kommen schien wie das Leiden eines Fremden, das der Wind einem zuträgt. Doch er gab nicht klein bei.
    Das hatte nichts mit Stärke zu tun. Achamian jedenfalls war nicht stark.
    Doch Seswatha war es.
    Wie oft hatte Achamian die Foltermauer in Dagliash überlebt? Wie oft war er aus quälenden Alpträumen geschreckt und hatte vor Erleichterung geweint, weil seine Handgelenke frei waren und keine Nägel in seinen Armen steckten? Was Folter anging, waren die Scharlachspitzen im Vergleich zu den Rathgebern Waisenknaben.
    Nein, Achamian war nicht stark.
    Trotz ihrer mitleidlosen Gerissenheit hatten die Magier der Scharlachspitzen nie begriffen, dass sie zwei Männer verhörten, nicht bloß einen. Als Achamian nackt und mit auf die Brust gesunkenem Kopf an seinen Ketten hing, konnte er die dunkelste seiner undeutlichen Silhouetten über den Mosaikboden pendeln sehen. Und egal, wie heftig seine Qualen waren: Sein Schatten blieb intakt, ja unberührt. Und er flüsterte ihm zu, mochte Achamian auch jammern oder würgen.
    Was sie auch tun – ich bleibe unberührt. Das Herz eines großen Baums brennt nie.
    Er war nicht allein, er war zu zweit – wie ein Kreis und sein Schatten. Folter, Zauberformeln, Rauschmittel: All das hatte versagt, weil es zwei Männer zu bezwingen galt, deren einer, Seswatha nämlich, weit außerhalb des Kreises der Gegenwart stand. Welche Schmerzen Achamian auch erleiden musste – stets flüsterte sein Schatten: Ich habe mehr erlitten.
    Qual folgte auf Qual, bis der chanvsüchtige Iyokus einen nackten, bärtigen Mann vor Achamian zerren und knapp außerhalb des Uroborianischen Kreises auf die Knie stoßen ließ. Mit gebrochener Miene sah der Mann zu ihm hoch und schien zu weinen und zu lachen.
    »Akka!«, rief der Fremde mit blutigem Mund. »Bitte, Akka! Bitte sag es ihnen!«
    Er hatte etwas unangenehm Vertrautes an sich.
    »Die herkömmlichen Methoden sind ausgeschöpft«, sagte Iyokus. »Das hatte ich vorausgesehen. Du hast dich als genauso stur erwiesen wie

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